Wie beziehen sich Wörter auf Empfindungen? -Darin scheint kein Problem zu liegen; denn reden wir nicht täglich von Empfindungen und benennen sie? Aber wie wird die Verbindung des Namens mit dem Benannten hergestellt? Die Frage ist die gleiche wie die: wie lernt ein Mensch die Bedeutung der Namen von Empfindungen? (Wittgenstein 1982, § 244, 140) Inszenierungsformen von Emotionen in literarischen Texten des Mittelalters: Liebe, Trauer, Zorn, Eifersucht, Hass, gleichen nur auf den ersten Blick denen der Moderne. Genauer besehen weichen ihre Anlässe, Ausdrucksmuster und Verlaufsformen von modernen Darstellungskonventionen von Emotionalität in auffälliger Weise ab. Dies ist jedem bekannt, der sich einmal mit dem mittelhochdeutschen Begriff Minne beschäftigt und gelernt hat, dass er ein ausdifferenziertes Spektrum von Handlungen, Beziehungstypen und emotionalen Valenzen bezeichnet, welches mit dem neuhochdeutschen Wort »Liebe« nur teilweise erfasst werden kann. Die Spannung zwischen Ähnlichkeit und Differenz, Alterität und Modernität hat den literarischen Emotionsausdruck einerseits anfällig für interpretatorische Kurzschlüsse und andererseits zu einem wichtigen Indikator für die Historizität mittelalterlicher Texte gemacht.Erst seit kurzem besteht in der Mediävistik jedoch eine dezidiert literaturwissenschaftliche Emotionsforschung, die mit älteren Ansätzen wie der Historischen Anthropologie, der Historischen Psychologie und der Mentalitätengeschichte einige Berührungspunkte aufweist, sich in ihren Methoden und Erkenntnisinteressen aber von ihnen unterscheidet. Der wichtigste Unterschied liegt darin, dass sie in der Textanalyse nicht ein methodisches Instrumentarium sieht, um übergreifende Ergebnisse über psychische Dispositionen historischer Individuen zu erzielen. Für die geschichtswissenschaftliche Forschung, die sich in ihrer mentalitätsgeschichtlichen Variante mit emotionalen Phänomenen wie Angst, der Einstellung zum Tod oder der Einstellung zum Kind befasst hat, gilt JLT 1: 2 (2007), 251-273.
Die Geschichte der Emotionen hat in der Mediävistik unvermindert Aktualität. Aspekten von ‚Liebe, Ehe und Sexualität‘, die seit längerem erforscht werden, treten neue Ansätze zur Seite, die ein spezifisch emotionstheoretisches Interesse verfolgen und zum Beispiel historische Codierungen von ‚Zorn‘ oder ‚Trauer‘ untersuchen. Die neue Untersuchung von Rüdiger Schnell ist insgesamt zum Komplex ‚Liebe, Ehe und Sexualität‘ zu rechnen, obwohl ein Schwerpunkt in der Analyse historischer Gefühlskonzepte liegt.
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