Die slowakische Literatur erfährt nach dem ersten Weltkrieg, nach Gründung der bürgerlichen Tschechoslowakischen Republik, die den vorläufigen Abschluß jahrhundertelanger nationaler Unabhängigkeitsbestrebungen des slowakischen Volkes darstellte, eine tiefgreifende Wandlung. Verstand sie sich bis dahin in erster Linie als Sachwalter und Bewahrer nationaler Interessen, ja, bildete sie oft genug die einzige Bastion nationaler Selbstbehauptung gegenüber Germanisierung und Magyarisierung, so drängte nun in ihr mit Macht die soziale Problematik in den Vordergrund. Die siegreiche Oktoberrevolution und der Aufbau des Sozialismus in Sowjetrußland ließen auch in der Tschechoslowakei die Klassengegensätze klarer hervortreten, revolutionierten die unterdrückten und ausgebeuteten Volksmassen, eröffneten ihnen eine reale gesellschaftliche Alternative, die angesichts der krisenhaften kapitalistischen Wirtschaft und der damit einhergehenden sozialen Unsicherheit zusehends an Anziehungskraft gewann. Die gewaltigen Klassenerhebungen des tschechischen Proletariats in den stark industrialisierten böhmischen Ländern, die wie ein Fanal wirkende Slowakische Räterepublik gruben sich tief in das Bewußtsein der Werktätigen ein, deren Not nach sozialen Lösungen geradezu schrie. An diesem Sachverhalt konnte die Literatur nicht vorübergehen, hierzu mußte sie -von welcher Position auch immer -Stellung beziehen. Ungeachtet dieser generellen substantiellen Akzentverschiebung vom Nationalen zum Sozialen bleiben aber infolge der sozialen Struktur der slowakischen Gesellschaft in der Literatur -vor allem in der Prosa -noch lange ländliche und kleinstädtische Themen dominierend. Weitgehend auf diesem Felde schreitet in der Folgezeit der literarische Differenzierungsprozeß voran, der sehr bald deutlich werden läßt, daß es eine über den Klassen stehende nationale Kultur nicht gibt. Lenins These von den zwei Kulturen, 1913 in der Atiseinandersetzung mit den Bundisten entwickelt, charakterisiert sehr treffend tatsächliche Situation: "In jeder nationalen Kultur", sagt Lenin, "gibt es -seien es auch unentwickelte -Elemente einer demokratischen und sozialistischen Kultur, denn in jeder Nation gibt es eine werktätige und ausgebeutete Masse, deren Lebensbedingungen unvermeidlich eine demokratische und sozialistische Ideologie erzeugen. In jeder Nation gibt es aber auch eine bürgerliche (und in den meisten Fällen noch dazu erzreaktionäre und klerikale) Kultur, und zwar nicht nur in Form von .Elementen', sondern als herrschende Kultur." 1 Die herrschende bürgerliche slowakische Kultur bleibt, in ihrer polaren Entwicklungstendenz betrachtet, entweder im Traditionalismus und Nationalismus ver-1 W. I. Lenin, Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage, in: W. I. Lenin, Werke,.
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