Es sei, so schreibt Seidel in Bewußtsein als Verhängnis »eine methodisch notwendige Illusion der Psychologen, eine ewig gleichbleibende menschliche Seele anzunehmen und sich gegen eine historische Relativierung dieser Voraussetzung für die Allgemeingültigkeit ihrer kultur-und religionspsychologischen Untersuchungen mit allen Mitteln zu sträuben« (Seidel 1927: 118). Seidel bezeichnet die Annahme, dass die Seele keinem historischen Wandel unterworfen sei, zwar als illusionär, aber für die Psychologie als methodisch notwendig, denn »jede Wissenschaft muß schon aus einem natürlichen Selbsterhaltungswillen so für ihre Voraussetzungen kämpfen« (ebd.). Seine Auseinandersetzungen mit der Psychologie und der Psychoanalyse in Bewußtsein als Verhängnis erzeugen den Eindruck, dass er mit diesen Zugängen erkenntnistheoretisch in einen Teufelskreis gerät: »Je mehr man zwar Psychologie […] mit Psychologie austreiben will, desto mehr wird man ja selbst psychologisch verseucht durch den Gebrauch der Psychologie. Den Teufel durch den Beelzebub, den obersten der Teufel auszutreiben: höchste Teufelei!« (ebd.: 212)44 »Das Wahrheitsproblem«, so treibt Seidel seinen Gedankengang weiter, »hat mit Psychologie nichts zu tun« (ebd.: 213).In der erwähnten Passage in Bewußtsein als Verhängnis -es ist nur eine der vielen Stellen, die von dieser Problematik handeln -wird exemplarisch deutlich, dass die Wahrheitsansprüche der empirischen Psychologie45 und jene der Philosophie am Anfang des 20. Jahrhunderts im Widerstreit waren. Die 44 Eine Kapitelüberschrift lautet: »Versuch einer Erklärung: Freud contra Freud« (Seidel 1927: 90). 45 Wie deutlich werden wird, legen Seidels Ausführungen nahe, dass nebst der empirischen Psychologie auch die Psychoanalyse für die Erneuerung philosophischer Standpunkte konstitutiv ist. Erarbeitet wird dies vor allem am Erneuerungsanspruch der Kritischen
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