Im Rahmen der COVID-19-Pandemie haben sozialwissenschaftliche Zeitdiagnosen und empirische Analysen Konjunktur. Aufgrund der weitreichenden gesellschaftlichen Transformationen ergibt sich ein erhöhter Bedarf an Erklärungen. Genauso ist aber auch das Verstehen gefragt, für das klassischerweise die qualitative Sozialforschung verantwortlich zeichnet – wenn man die Teilung in eine standardisierte und eine nicht-standardisierte empirische Richtung nicht als veraltet aufgibt. Methodisch gilt es demnach zu ergründen, was der spezifische Beitrag der interpretativ orientierten Verfahrensweisen zur Aufklärung der sozialen Folgen der Corona-Pandemie bereits ist und noch sein kann. Dieser Frage möchte ich nachgehen und außerdem die Feldforschung als Möglichkeit in den Fokus rücken, sich dem spezifischen Erleben der Zäsur anzunähern. Darüber hinaus möchte ich einen ethnographischen Zugang vorstellen, der Alltagsrepräsentationen radikalisiert, um lebensweltlichen Erfahrungen nachzuspüren. Dazu deute und kontextualisiere ich Datenmaterial, in dem ein Online-Artikel rezipiert wird, als Zugang zu spezifischen Konstruktionsformen gesellschaftlicher Wirklichkeit unter Pandemiebedingungen. Der Kontrast zu prominenten makrosoziologischen Zuschreibungen könnte kaum größer sein, dafür gerät ein besonderer Aspekt der Krise und ihrer Bewältigung in den Blick: der Übergang von abstrakten Welterkenntnissen in subjektbezogenes Wissen.
Nähe ist ein Bestandteil sozialer Situationen, der im alltäglichen Erleben oftmals wenig explizite Aufmerksamkeit erfährt, aber während der COVID-19-Pandemie auf besondere Weise reflexiv wurde. Anhand von ethnografischen Daten lässt sich zeigen, wie sich das Herstellen und die Vermeidung von Nähe gestaltet, wenn Körper nicht nur als infektiös und damit vulnerabel kodiert werden, sondern darüber hinaus in dieser Verletzlichkeit erlebt werden. In Anlehnung an phänomenologische Konzepte von Maurice Merleau-Ponty und Hermann Schmitz wird diese Erlebensspur rekonstruiert, wobei der Leib im Zentrum der hermeneutischen Auslegungen steht. Das Feld der alltäglichen Transformationen durch die Pandemie dient aber auch einem allgemeineren Erkenntnisinteresse: Wie ist das Erfahren von Nähe in den leiblichen Zugang zur Welt eingebunden? Es wird ein verstehender Zugang zu diesem Erfahrungsaspekt vorgestellt. Mit der Verschränkung phänomenologischer Theorien und Beobachtungsdaten werden Leiblichkeit und Nähe aufeinander bezogen, um eine Perspektive auf soziale Situationen zu ermöglichen, die sich dem Erleben nachvollziehend annähert.
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