Auf ungewöhnlichen Wegen nähert sich der Baseler Literaturwissenschaftler Volker Nölle seinem Gegenstand, dem heimlichen Blick in der Weltliteratur, an: ungewöhnlich, weil sein voluminöses Buch in viele einzelne Minikapitel unterteilt ist, eher locker von Hauptkapiteln zusammengehalten; ungewöhnlich, weil Nölle, aus streng strukturalistischer Perspektive, Verwandtschaften zwischen Texten erkennt, die zeitlich, räumlich und thematisch stellenweise sehr weit auseinanderliegen; ungewöhnlich schließlich, weil er einen -allerdings nicht näher explizierten -kreativen (›innovati-ven‹) Leseprozess vorführt (und seine Leser und Leserinnen ermuntert, diesen nachzuvollziehen), der darin besteht, alternative Lesarten zu vorliegenden literarischen Texten zu finden. Die Frage ist hier tatsächlich die, was ein Autor oder eine Autorin ›besser‹ hätte machen können, um etwa eine Spannungssteigerung oder einen poetisch-ästhetischen Zugewinn zu verbuchen.Nölles Buch, obwohl es weitestgehend auf theoretische Abstraktionen verzichtet und in ansprechender Weise eng an den jeweilig thematisierten literarischen Text angelehnt argumentiert, ist dennoch keine gerade leichte Lektüre, da einzelne narrative Blickszenen der Weltliteratur (wobei deutsche, französische, russische und englische Autoren ab dem 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart überwiegen) miteinander verbunden werden, ohne dass dabei die Werke, denen diese Szenen entstammen, selbst ausführlicher besprochen oder gedeutet werden würden. Nölles Interesse ist nicht die hermeneutische Gesamtdeutung von Werken, sondern das Verständnis des literarischen Generierungsprozesses, ausgehend von literarischen Szenen (man könnte sie aufgrund ihrer Kürze auch zuweilen ›Schnipsel‹ nennen), die aus ihrem Kontext gelöst und mikrokomparatistisch nebeneinander gestellt werden. Das erfordert vom Leser und von der Leserin ein schnelles Umschalten bzw. Hin-und-her-Springen, zuweilen eben auch zu Szenen aus literarischen Werken hin, die ihm oder ihr vielleicht ganz unbekannt sind. Um dies an einem typischen Beispiel zu zeigen: So werden im vierten Teil (219-254), verteilt auf acht kurze Kapitel, Blick-und Hörszenen aus folgenden Texten in dieser Reihenfolge auf diesen wenigen (fünfunddreißig!) Seiten behandelt: