Zusammenfassung
Der Beitrag rekapituliert das konstruktivistische Paradigma im Anschluss an Ernst von Glasersfeld und problematisiert dessen Anwendung in der Geschichtswissenschaft. Die konstruktivistischen Grundannahmen werden dann im Lichte der Herausforderungen der Archäogenetik diskutiert und mit einer erkenntnistheoretischen Grundsatzkritik konfrontiert. Damit soll nicht einem Sozial- und Medienkonstruktivismus begrenzter Reichweite die Legitimation abgesprochen werden, vielmehr wird für eine postkonstruktivistische Geschichtswissenschaft argumentiert, die das konstruktivistische Begriffs- und Methodenarsenal nicht mehr als unhinterfragte und undiskutierbare, dabei für die Forschung vielfach konsequenzlose Vorannahme übernimmt, sondern bereit ist, epistemische und normative Vorannahmen zu korrigieren und dabei neuere philosophische Debatten und archäogenetische Ansätze kritisch zu verarbeiten.
Seit Hermann Lübbes bahnbrechender Studie über die Politische Philosophie inDeutschland wird die deutsche Weltkriegsphilosophie von 1914 -1918 als "FichteBewegung" charakterisiert. 1 Zweifellos finden sich viele Belege für diese These. Im Gefolge von Rudolf Eucken, der zum "Herold des Deutschtums" 2 und neuen Fichte 3 stilisiert wurde, proklamierte die Kriegsphilosophie analog zu Fichtes Reden an die deutsche Nation einen Weltberuf des deutschen Geistes. Die Reden Fichtes könnten dabei ermutigen, so Eucken, "unser deutsches Wesen immer klarer und reiner herauszuarbeiten zum Segen für uns selbst, zum Heil auch für das Ganze der Menschheit" 4 . Bei dem Leipziger Professor Ernst Bergmann geriet Fichte als Begründer des Glaubens an eine deutsche Führungsrolle für die Menschheit sogar in die Rolle eines Religionsstifters, der ein ideales Deutschtum aufgegeben habe. 5 Die polemisch gegen den französischen Universalismus entwickelte Idee Fichtes einer "(deutschen) Menschheits-Gegenpartei" 6 ließ viele Philosophen hoffen, dem eigenen Krieg einen allgemeinen Sinn geben zu können. Der Berliner Privatdozent Heinrich Scholz faßte diese Hoffnung in die knappe Formel: "Das Vaterland ist der Schlüssel zur Welt" 7 . dieser Artikel wurde wohl schon kurz vor dem Krieg verfaßt.Kant-Studien 93. Jahrg., S. 84-112
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