Die ›Bild‹-Zeitung und die Furcht vor einer neuen Seuche -eine Fallstudie 1 AIDS UND DIE MEDIEN Die Agenda-Setting-Forschung hat in den vergangenen 35 Jahren immer wieder belegt: Die Medien sind es, die viele, vielleicht sogar die meisten Themen der öffentlichen Diskussion wenn nicht setzen, so doch in der Bevölkerung verbreiten (vgl. zusammenfassend McCombs 2004). Das gilt offenbar besonders dann, wenn ein Problem ernsthafte Konsequenzen für viele zu haben scheint, wenn es vor allem Unschuldige treffen könn-te, man sich mit den Opfern leicht identifizieren kann, wenn das Problem dramatische Elemente enthält, sich griffig bezeichnen und als holzschnittartiger Ursache-WirkungsProzess darstellen lässt (vgl. Schönbach 1992). Bei einem neuen, vielleicht sogar unerhörten Problem könnte der Agenda-Setting-Effekt der Medien zudem davon profitieren, dass es in der Lebenswelt des Publikums noch keine relativierende Erfahrung mit der tatsächlichen Brisanz eines Problems gibt, es noch »unobtrusive«, unaufdringlich ist (vgl. Zucker 1978). Wohl wie kein anderes Thema vereinte AIDS bei seiner Einfüh-rung als gesellschaftliches Problem diese Eigenschaften auf sich. Es liegt nahe, dass Medien dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Wann und wie könnte das in (West-) Deutschland geschehen sein?Das HI-Virus gelangte wahrscheinlich erstmals Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre nach Deutschland. Zunächst waren homosexuelle Männer betroffen, später auch Drogenabhängige. Schnell zeigte sich, dass die an AIDS Erkrankten durch Geschlechtsverkehr miteinander in Verbindung standen oder durch gemeinsamen Spritzengebrauch. Das mag erklären, warum AIDS in der veröffentlichten Meinung zunächst als exotisch ignoriert wurde -wer nicht selbst homosexuell war, sich prostituierte oder sich Rauschmittel spritzte, schien ja nicht gefährdet.Auch in ihrer Analyse amerikanischer Publikumsmedien fanden Rogers, Dearing und Chang (1991) bis Ende 1982 praktisch keine Aufmerksamkeit für das Thema AIDS
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