Sie dienen daher nicht sowohl diesem, wie schlechte Übersetzer es für ihre Arbeit zu beanspruchen pflegen, als daß sie ihm ihr Dasein verdanken. In ihnen erreicht das Leben des Originals seine erneute späteste und umfassendste Entfaltung. Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers (1923) RÜDIGER VON TIEDEMANN Karl Kraus und Shakespeare Plädoyer für eine genauere Betrachtung* Unter den deutsdispradiigen Autoren des XX. Jahrhunderts, denen Shakespeare mehr als ein beliebiger sakrosankter Name der Literaturgeschichte gewesen ist, nimmt Karl Kraus einen besonderen Platz ein -nicht allein durch die Intensität seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem Elisabethaner, sondern gleichermaßen durch deren weitgehende Wirkungslosigkeit. Diese erweist sich bis zum heutigen Tag am mangelnden öffentlichen und literaturwissenschaftlichen Echo auf seine Shakespeare-Bearbeitungen und -Nachdichtungen 1 ; jene * Die Aufsätze von Rüdiger von Tiedemann über Karl Kraus und Shakespeare und von Manfred Schmeling über Das ^offene Kunstwerk* in der Übersetzung wurden am 16./17. Mai 1978 anläßlich der vierten wissensdiaftlidien Tagung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Saarbrücken als Vorträge gehalten. Das Generalthema der Tagung war die Rolle der literarischen Übersetzung in den interliterarischen Beziehungen. 1 Bezeichnend dafür ist sowohl die von Kraus wiederholt vorgebrachte Klage über das Desinteresse des Publikums seiner Vorlesungen an den Shakespeare-Bearbeitungen und -Übersetzungen als auch seine Auskunft, daß vier Jahre nach Erscheinen seiner Version des Timon von Athen 366 Exemplare verkauft worden seien (vgl. Die Fackel [zit.: F.] Nr. 909-11 [Ende Mai 1935], 13, und F. Nr. 868-72 [Anfang März 1932], 102). Die Zahl der seit 1945 in seiner Bearbeitung gespielten Shakespeare-Aufführungen beträgt nicht mehr als eine Handvoll. Auch die kritische Literatur hat sich bisher kaum und meistens unzulänglich mit der Shakespeare-Rezeption von Kraus beschäftigt; im Blickpunkt stand dabei fast stets und ausschließlich die Nachdichtung der Sonette. Die einzige eingehendere Untersuchung zu Lebzeiten, Richard Flatters Pamphlet Karl Kraus als Nacbdichter Shakespeares. Eine sprachknt. Unters., Wien o. J. (1934), ist allzu sehr von persönlichen Querelen und Mißverständnissen bestimmt. Ludwig W. Kahn (Shakespeares Sonette in Deutschland. Versuch einer lit. Typologie, Bern/Leipzig 1935) erwähnt Kraus nur
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