Das europäische Mittelalter ist zweifelsohne die Zeit der großen Angst. Die natürliche menschliche Furcht vor den Naturkataklysmen und den sozialen Katastrophen, vor Überschwemmungen und Erdbeben, Krankheits-und Hungerepidemien, vor feindlichen Uberfällen und Heuschreckeneinbrüchen wird stark multipliziert durch das Hineinstellen jedes einzelnen Ereignisses in ein universelles Szenario, das unabänderlich mit der Zerstörung und dem Untergang der von den Menschen bewohnten Welt beendet wird. In diesem Szenario ist jedes konkrete Geschehnis weit bedeutungsvoller und vernichtender als seine direkte ,physische' Wirkung. Es wird unweigerlich auch als ein Zeichen für die sich nähernde Vollendung der Zeiten gedeutet, als ein mehr oder weniger klarer Hinweis darauf, daß die Welt unabwendbar ihrem Untergang entgegeneilt.Der Schrecken vor dem Ende der ganzen Schöpfung schärft den Blick und das Denken der Menschen jener Zeit in bezug auf jedes Zeichen, das den Tag und die Stunde des unvermeidlichen Geschehens vorhersagen zu können scheint. Die eschatologische Perspektive bereichert den symbolischen Kode der Ereignisse und der Erscheinungen, die ohnehin nicht in ihrer reinen "Dinglichkeit" aufgenommen und gedeutet werden, sondern in ihrem Zeichencharakter, in ihrer Tauglichkeit, die Elemente der Sinnfülle der göttlichen Vorsehung auszudrücken. Im "Wald der Symbole" (Le Goff) bekommen besonders die "Gegenstände" einen hohen Wert, die in sich selbst die Potenz haben, die Idee der Vervollkommnung und der Vollendung und -soweit es eben um das geschaffene und vergängliche Seiende geht -die der Beendigung und des Ubergangs ins Nichtsein darzustellen.Die Zahlen sind eine wichtige Komponente im mittelalterlichen Symbolverständnis. Sie erweisen sich als angemessen speziell für die eschatologischen Spekulationen, insofern die Zahlenreihe gewisse Grenzen aufweist, so daß die Vermutung naheüegt, die Welt höre auf zu existieren, wenn eine streng festgestellte Zahl von Jahren vergangen ist. Die Zahl vereinfacht weitestgehend den exegetischen Kode, und die apokalyptischen Erwartungen scheinen ungehindert ihren Stützpunkt in der ersten größeren Zeitgrenze finden zu können -im Jahr 1000 nach der Geburt (oder der Passion) des Erlösers. Daß die Zahl 1000 diese
Das vorliegende Thema ist im Zusammenhang mit dem Problem des mittelalterlichen Naturalismus, als eine Komponente des ganzheitlichen weltanschaulichen Gefüges, Mittelalter genannt, zu behandeln. Die Dimensionen der mittelalterlichen Erotik sind eng verbunden mit der spezifischen Vorstellung vom Menschen und seiner Bestimmung, vom menschlichen Körper und dessen Lebensfunktionen, vom Guten und Bösen, vom Schönen und Häßlichen, vom Würdigen und Abscheulichen. Davon ausgehend führen unsere Überlegungen sowohl in Hinsicht auf ihre erklärenden Prinzipien als auch in Hinsicht auf ihre Sinnmotivation unumgänglich zu grundlegenden Problemen der mittelalterlichen Mentalität. Eine ähnliche "Unterbrechung" der Argumentationsketten ist beim Aufbau eines begrenzten wissenschaftlichen Textes unentbehrlich.Das Thema der mittelalterlichen Erotik ist aber nicht einfach eine gelungene Illustrierung des Themas der "Natur" im Mittelalter. Es hat auch eigenständige Bedeutung. Würden wir die Frage nach der Eigenart der mittelalterlichen Formen dieser der Menschheit wesenseigenen Lebenstätigkeit stellen, würden wir diese Frage ernsthaft stellen, so hätten wir die Chance eine Reihe von historischen "Standardetiketten" zu korrigieren, zahlreiche Vorurteile zu überwinden und, indem wir unsere automatischen historischen Reaktionen abschalten, in die Erscheinungen der mittelalterlichen Kultur einzudringen.Um die wirklichen Dimensionen der mittelalterlichen Erotik aufzudekken, müssen wir uns zuerst von der völlig haltlosen Vorstellung vom rein spirituellen Charakter des Mittelalters befreien und unsere Überlegungen aufbauen auf der Idee vom intimen gegenseitigen Durchdringen des Kör-perlichen und des Geistigen auf allen "Ebenen" des mittelalterlichen Kosmos -vom verleiblichten Gott, der die Sünden der Menschen durch körperliche Qualen und körperlichen Tod sühnt, bis in die Tiefen der Hölle, wo die Sünder eher die geistigen Qualen der Reue als körperliche Leiden zu ertragen haben. Danach müssen wir uns die Frage nach der Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/13/15 4:43 PM
Die Untersuchung der mittelalterlichen "Idee" vom Raum erfordert nicht nur die korrekte Interpretation der expliziten Texte, welche die Begriffe spatium, locus, vacuum etc. enthalten, sondern auch ein aufmerksameres Vordringen in jene allgemeine Vorstellung, aus der das theoretische "Wissen" vom Raum hervorgeht und hinter der es sich aufbaut, sei es durch eine Adaption an sie, sei es durch eine kritische Einschätzung. Dieses Vordringen verlangt selbstverständlich ein gewisses Abrücken von den eigentlichen philosophischen und theologischen Schriften und das Heranziehen eines heterogeneren Materials, das geeignet ist, jenes weltanschauliche Milieu, in dem der Raum nicht so sehr eine theoretische Konstruktion als vielmehr das "Universale" der Kultur ist, unmittelbarer und authentisch wiederzugeben 1 .Doch eben als kulturelles Universale trägt der mittelalterliche Raum die typischen Züge des mythischen Raumes in sich, die auf klassische Weise im zweiten Band der "Philosophie der symbolischen Formen" von Ernst Cassirer dargelegt sind. Der mythische Raum nimmt -wenn uns dieses Resümee erlaubt ist -die spezifische mittlere Position zwischen dem mit den Sinnen Aufgenommenen und dem Raum der geometrischen Wahrnehmung ein. Während letzteres gekennzeichnet ist durch seine Isotropik, seine Homogenität und seine Endlosigkeit, während die einzelnen Punkte in ihm nur eine funktionelle, jedoch keine substantielle Präsenz haben, während sie sich einander gegenüberliegen, ohne jedoch einen eigenen Inhalt in sich zu tragen, gibt es im Raum der unmittelbaren Wahrnehmung keine strenge Einartigkeit der Orte und Richtungen, sondern jeder Ort hat sein eigenes Aussehen und seinen eigenen Wert. Hier sind der "Ort" und sein Inhalt nicht voneinander getrennt, und sie können es auch nicht sein. Der Ort selbst konstituiert sich als solcher eben durch seinen einzigartigen und auf nichts anderes reduzierbaren Inhalt. Jedes Element des Raumes beinhaltet ein eigenes Kolorit, eine eigene spezifische Charakteristik, die -eben wegen ihrer Einzigartigkeit -1 Zur Frage, wie die philosophischen Grundbegriffe als "Kategorien" oder "Universalien" der Kultur fungieren, siehe mein Buch "Die frühchristliche Philosophie als Phänomen der Kultur", Würzburg 1995, 9 sqq.
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