Zusammenfassung Hintergrund Routinedaten aus alltäglicher ambulanter Patientenversorgung sind für Versorgungs- und Gesundheitssystemforschung dringend erforderlich, in Deutschland jedoch nur unter größten Schwierigkeiten und erheblichen Einschränkungen zu erhalten. 2018 treten die europäische Datenschutzgrundverordnung und ein neues Bundesdatenschutzgesetz in Kraft. Durch simulierte Szenarien sollte sich erkennen lassen, ob dadurch Zugang zu und Nutzung von Routinedaten einfacher werden oder die Hemmnisse zunehmen. Methode Allgemeinärzte, Medizininformatiker, Treuhänder und Datenschutzexperten erarbeiten in einem Projekt zur Nutzung hausärztlicher Routinedaten Konzepte, Prozesse und Standards für rechtskonforme sekundäre Forschung an hausärztlichen Routinedaten und untersuchen deren Umsetzung in 2 Szenarien (anonyme bzw. pseudonyme Datennutzung). Aus Sicht von Technikentwicklung und Datenschutz werden technisch-organisatorische Hindernisse und rechtliche Rahmenbedingungen vorgestellt. Ergebnisse Eine veraltete Schnittstellenversion, unzureichende Softwarepflege, organisatorische und finanzielle Belastungen durch die Hersteller sowie mangelhafte IT-Standards behindern die Nutzung ambulanter Routinedaten, v. a. im Längsschnitt. Das zukünftige europäische Datenschutzrecht wird – europaweit einheitlich – die wissenschaftliche Nutzung hausärztlicher Routinedaten grundsätzlich erlauben. Es bleibt jedoch eine gewisse Spannung zwischen Individual- bzw. Patienteninteressen (Schutz personenbezogener Daten als Grundrecht) und Gemeinwohlinteressen (Versorgungs- und Gesundheitssystemforschung zur Qualität und Effizienz öffentlichen Ressourceneinsatzes; freier Datenverkehr innerhalb des Europäischen Binnenmarktes). Das macht sich besonders beim Wunsch nach Auswertung von Routinedaten im Längsschnitt via Pseudonymiserung bemerkbar. Diskussion Weder datenschutzrechtlich unüberwindliche Hürden noch die Gefahr von Big Data sind das augenblicklich größte Problem bei der Nutzung von Routinedaten. Die tatsächlich relevanten Hindernisse bestehen auf der technisch-organisatorischen Ebene. EU-Datenschutzgrundverordnung und das neue Bundesdatenschutzgesetz verbessern europaweit Rechtseinheitlichkeit und Rechtsklarheit im Patienteninteresse. Spannungen zwischen Datenschutz für personenbezogene Gesundheitsdaten und ihrer wissenschaftlichen Nutzung im Gemeinwohlinteresse erfordern jedoch weitere rechtliche Klärung. Ein möglicher Teil der Lösung, eine weiterentwickelte und einsatzbereit vorliegende Schnittstelle, harrt ihrer Implementierung.
ZusammenfassungZiel der Studie „Real world“-Daten aus der ambulanten Gesundheitsversorgung sind in Deutschland nur schwer systematisch und longitudinal zu erlangen. Unsere Vision ist eine permanente Datenablage mit repräsentativen, de-identifizierten Patienten- und Versorgungsdaten, längsschnittlich, fortwährend aktualisiert und von verschiedenen Versorgern, mit der Möglichkeit zur Verknüpfung mit weiteren Daten, etwa aus Patientenbefragungen oder biologischer Forschung, zugänglich für andere Forscher. Wir berichten methodische Vorgehensweisen und Ergebnisse aus dem RADAR Projekt.Methodik Untersuchung des Rechtsrahmens, Entwicklung prototypischer technischer Abläufe und Lösungen, mit Machbarkeitsstudie zur Evaluation von technischer und inhaltlicher Funktionalität sowie Eignung für Fragestellungen der Versorgungsforschung.Ergebnisse Ab 2016 entwickelte ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam ein Datenschutzkonzept für Exporte von Versorgungsdaten aus elektronischen Praxisverwaltungssystemen. Eine technische und organisatorische Forschungsinfrastruktur im ambulanten Sektor wurden entwickelt und im Anwendungsfall „Orale Antikoagulation“ (OAK) umgesetzt. In 7 niedersächsischen Hausarztpraxen wurden 100 Patienten gewonnen und nach informierter Einwilligung ihre ausgewählten Behandlungsdaten, reduziert auf 40 relevante Datenfelder, über die Behandlungsdatentransfer-Schnittstelle extrahiert, unmittelbar vor Ort in identifizierende bzw. medizinische Daten getrennt und verschlüsselt zur Treuhandstelle (THS) bzw. an den Datenhalter übertragen. 75 Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllten (mind. 1 Jahr Behandlung mit OAK), erhielten einen Lebensqualitäts-Fragebogen über die THS per Post. Von 66 Rücksendungen wurden 63 Fragebogenergebnisse mit den Behandlungsdaten in der Datenablage verknüpft.Schlussfolgerung Die rechtskonforme Machbarkeit der Gewinnung von pseudonymisierten hausärztlichen Routinedaten mit expliziter informierter Patienteneinwilligung und deren wissenschaftliche Nutzung einschließlich Re-Kontaktierung und Einbindung von Fragebogendaten konnte nachgewiesen werden. Die Schutzkonzepte Privacy by design und Datenminimierung (Artikel 25 mit Erwägungsgrund 78 DSGVO) wurden systematisch in das RADAR Projekt integriert und begründen wesentlich, dass der Machbarkeitsnachweis rechtskonformer Primärdatengewinnung und sekundärer Nutzung für Forschungszwecke gelang. Eine Nutzung hinreichend anonymisierter, aber noch sinnvoller hausärztlicher Gesundheitsdaten ohne individuelle Einwilligung ist im bestehenden Rechtsrahmen in Deutschland schwerlich umsetzbar.
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