Ob wir das Stimmrecht wollten oder nicht -wir haben es. Und darum ist es wohl auch richtig, wenn wir von ihm Gebrauch machen". 2 So begann der Wahlaufruf der Zürcher Landfrauenvereinigung an ihre Mitglieder im Oktober 1971 in Aussicht der ersten National-und Ständeratswahlen sechs Monate nach der erfolgreichen eidgenössischen Abstimmung über das Frauenwahlrecht. Ihre Teilnahme an diesen Wahlen scheint den Frauen des Vereinsvorstands nicht ganz genehm gewesen zu sein, was sich durch ihre Nähe zur Bauern-, Gewerbe-und Bürgerpartei (BGB) verstehen lässt, einer wertkonservativen Partei, die sich noch ein Jahrzehnt zuvor gegen das Frauenstimmrecht ausgesprochen hatte. 3 Eine ähnliche Ambivalenz ist in einem kurz zuvor datierten Brief der langjährigen Aktivistin gegen das Frauenstimmrecht, Gertrud Haldimann-Weiss, zu finden. Anlässlich der ersten für beide Geschlechter offenen eidgenössischen Abstimmung im Juni 1971 schrieb sie an die Mitglieder des neu gegründeten Arbeitskreises für Familien-und Gesellschaftspolitik, Nachfolger des nun hinfälligen Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht im Kanton Bern (siehe dazu Furter 2003): "Wir empfehlen unseren Mitgliedern, diesen ersten Urnengang nicht zu unterlassen. Haben wir immer wieder auf die Pflichten des Stimmbürgers hingewiesen, die wirnicht aus Furcht vor der Verantwortung -im Vertrauen auf die pflichtbewusste Vertretung durch die Männer weiterhin ihnen überlassen wollten, so müssen wir nun diese durch Mehrentscheid uns aufgezwungene Pflicht auch ausüben." 4 Noch klarer wird hier die Resignation dieser Frauen über die Tatsache, dass sie nun ihre von der Mehrheit der Schweizer aufgezwungene politische "Pflicht" ausüben mussten, die doch eigentlich nur dem Mann zustand: Dieser blieb nämlich Inbegriff des Bürgers (Neidhart 1971, 1 Ich möchte mich bei Eva Locher, Philipp Müller und Damir Skenderovic für ihre Hilfe bei der sprachlichen und inhaltlichen Bearbeitung dieses Textes herzlich bedanken. 2 Sekretariat der Zürcher SVP, Nationalratswahlen 1971, Brief der Zürcher Landfrauenvereinigung an ihre Mitglieder, Oktober 1971. 3 Die BGB war sogar die einzige schweizerische Partei, die eine Nein-Parole zur ersten Frauenstimmrechtsabstimmung von Februar 1959 beschloss (Linder et al. 2010, S. 268ff.). 4 Gösteli-Archiv, Archiv Gertrud Haldimann, Arbeitskreis für Familien-und Gesellschaftspolitik, Brief von Gertrud Haldimann-Weiss des 15. Mai 1971. Author's accepted manuscript for: An die Urnen, Schweizerinnen! Die Erfindung der Wählerin im eidgenössischen Wahlkampf von 1971, in: Hedwig Richter und Hubertus Buchstein (Hg.), Kultur und Praxis der Wahlen. Eine Geschichte der modernen Demokratie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2017, S. 237-265. https:// link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-16098-2_11 2 S. 78f.), aber auch legales Haupt der Ehe 5 , der nun aber seine Ehefrau nicht mehr in der Öffentlichkeit zu vertreten hatte. Die beiden Zitate zeigen die paradoxe Situation der konservativen Frauenvereine, die ja grundsätzlich ein Interesse daran hat...