ZusammenfassungIm vergangenen Jahrzehnt kam es in den meisten Industrieländern, auch in Deutschland, zu tiefgreifenden Veränderungen in der klinischen Praxis der Hämotherapie. Die Indikationsstellung zur Erythrozytentransfusion erfolgt immer zurückhaltender. Der Verbrauch von Erythrozytenkonzentraten ist stark rückläufig. Gleichzeitig steigt auch die Zahl der Patienten, bei denen trotz geplanter Operation oder Intervention die präoperative bzw. präinterventionelle Bereitstellung von gekreuzten Blutkonserven unterbleibt. Wir berichten über einen 71-jährigen multimorbiden Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie, stark reduzierter kardialer Reserve, Z. n. wenige Wochen zurückliegender Trikuspidalklappenersatz-Operation, laufender Antikoagulation mit Heparin und diagnostizierter Anämie mit Hämoglobinwerten zwischen 7 und 8 g/dl. Bei diesem Patienten kam es nach einer bereits mehrtägigen stationären Behandlung unerwartet zu einem hämorrhagischen Schock infolge einer Forrest-IIb-Blutung aus einem Ulcus duodeni. Im Rahmen der Notfallversorgung stellte sich heraus, dass jede transfusionsvorbereitende Diagnostik versäumt worden war. Die notfallmäßig bereitgestellten, ungekreuzten Erythrozytenkonzentrate der Blutgruppe 0 Rhesus-negativ lösten bei diesem Patienten eine akute hämolytische Transfusionsreaktion aus. Grund war ein zum Transfusionszeitpunkt nicht identifizierter irregulärer Antikörper gegen das Blutgruppenmerkmal s aus dem MNSs-Blutgruppensystem. Akute hämolytische Transfusionsreaktionen außerhalb des AB0-Systems sind eine seltene, dennoch grundsätzlich immer drohende Komplikation der Transfusion ungekreuzter Erythrozytenkonzentrate im lebensbedrohlichen Blutungsnotfall. Der Fall zeigt, dass der Wunsch, eine restriktive Transfusionspraxis zu befolgen, nicht dazu führen darf, im Einzelfall Konstellationen zu übersehen, die selbstverständlich die rechtzeitige Vornahme einer prätransfusionellen Diagnostik mit Blutgruppenbestimmung, Antikörpersuche und Antikörperidentifizierung erfordern. Nach unserer Meinung nimmt die Frequenz vergleichbarer Ereignisse in einem Ausmaß zu, das es nahelegt, solche Fehler im klinischen Behandlungsgeschehen nicht nur in CIRS-Systemen zu bearbeiten, sondern sie auch in den Hämovigilanzsystemen zu erfassen.