Zusammenfassung
Ziel der Studie Ziel der Studie war es, Häufigkeit, Lokalisation,
Intensität, Qualität und Chronifizierungsgrad von Schmerzen bei
Menschen mit vorgeburtlichen Conterganschädigungen
(Thalidomid-Embryopathie) darzustellen sowie die Zusammenhänge mit
biopsychosozialen Faktoren näher zu untersuchen.
Methodik Erstmalig wurde eine Gruppe von 202 contergangeschädigten
Menschen aus Nordrhein-Westfalen sowohl physisch auf das Muster der
Ursprungsschädigung, als auch psychisch mittels eines strukturierten
diagnostischen Interviews (SKID I & SKID II) untersucht. Diese
Untersuchungsdaten wurden mit einem standardisierten Schmerzinterview (MPSS)
sowie Fragebogenangaben zu weiteren schmerzbezogenen (SF-36, PainDetect) und
soziodemografischen Variablen zusammengeführt und analysiert.
Für die Analyse wurden letztlich 167 vollständige
Datensätze berücksichtigt.
Ergebnisse Die Schmerprävalenz betrug 94,0%. Die Mehrzahl
(107 TN, 54,0%) wies im MPSS bereits fortgeschrittene
Chronifizierungsgrade auf: 63 TN mit Stadium II (37,7%) bzw. 44 TN mit
Stadium III (26,3%). Bei 74 Studienteilnehmern (44,3%) lag im
PainDetect eine mögliche oder wahrscheinliche neuropathische
Schmerzkomponente vor. Signifikante Zusammenhänge mit
Schmerzchronifizierung zeigten sich bei Schmerzlokalisation im
Hüftbereich (p<0,001) sowie bei dem Vorliegen von psychischen
Störungen (p=0,001), insbesondere majoren Depressionen
(p<0,001), somatoformen und substanzbezogenen Störungen (je
p=0,001). Soziale Variablen erwiesen sich hierbei ebenso als
nicht-signifikant (p=0,094 für Alleinleben, p=0,122
für Erwerbslosigkeit, p=0,167 für Nichtakademiker), wie
die Versorgungssituation (p=0,191 für
Pflegebedürftigkeit) und das zugrundeliegende organische
Schädigungsmuster (p=0,229 für
Hörschädigungen, p=0,764 für Dysmelien).
Schlussfolgerungen Contergangeschädigte Menschen leiden
häufig unter einer eigenständigen Schmerzkrankheit, die als
thalidomid-induzierte Folgeschädigung verstanden werden kann . Es
besteht ein starker Zusammenhang zwischen fortgeschrittener
Schmerzchronifizierung und dem Vorhandensein von psychischen Störungen,
welcher in der einer spezialisierten und individualisierten multimodalen
Schmerzbehandlung besondere Berücksichtigung finden sollte.