In der modernen pharmazeutischen Industrie spielt das Thema Chiralität eine wichtige Rolle: Seit langem ist bekannt, dass die Enantiomere einer Substanz ganz verschiedene biologische Aktivitäten, pharmakokinetische Eigenschaften und Toxizitäten besitzen können.[1] Die Fälle von Thalidomid [2] und Perhexilin [3] belegen eindrucksvoll die Bedeutung der Stereochemie bei der Medikamentenentwicklung. Aufsichtsämter wie die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) führen an, dass chirale Wirkstoffe bei höherer Sicherheit und/oder Wirksamkeit bevorzugt als einzelne Enantiomere entwickelt werden.[4] Allerdings gibt es auch Wirkstoffe, bei denen die Enantiomerenmischung ein akzeptables toxikologisches Profil hat (z. B. Ibuprofen, das als Racemat verkauft wird).[5] Diesen Richtlinien zufolge, und weil das einzelne Enantiomer meist mit einer höheren biologischen Aktivität ausgestattet ist, kamen zwischen 2004 und 2006 tatsächlich 65 % aller Medikamente als einzelne Enantiomere auf den Markt. Dies liegt vor allem an Fortschritten auf dem Gebiet der asymmetrischen Synthese und an verbesserten Racematspaltungsverfahren.[6] Nur 7 % der Substanzen waren Racemate oder Diastereomerenmischungen. [5] In diesem Kurzaufsatz wollen wir uns mit einer bisher größtenteils übersehenen Quelle von Chiralität bei Wirkstoffen beschäftigen, der Atropisomerie, [7] und ihre Bedeutung für die pharmazeutische Anwendung diskutieren. Atropisomere sind Konformere, die sich aufgrund von sterischer oder elektronischer Hinderung hinreichend langsam ineinander umwandeln (definitionsgemäß mit einer Halbwertszeit über 1000 s) und somit isoliert werden können. [7,8]