Zusammenfassung
In Reaktion auf sinkende Beteiligungsraten bei Wahlen besteht in der internationalen politikwissenschaftlichen Forschung ein anhaltender Diskurs zu den Wirkungsweisen der Einführung einer Wahlpflicht. Neben der durch eine Wahlpflicht induzierten Steigerung der Wahlbeteiligung und dem Rückgang der sozial-selektiven Beteiligungszusammenhänge werden förderliche Eigenschaften für die politische Bildung und Involvierung der Bürger angenommen („spill-over-Effekt“). Es wird eine Auswertung der Literatur zur Wahlpflicht vorgenommen, welche in Anlehnung an die Hypothesen von Arend Lijphart, zentrale Forschungsbefunde zu den Wirkungseffekten zweiter Ordnung der Wahlpflicht zusammenfasst. Der Diskurs zur Wahlpflicht erscheint sehr stark von theoretischen Abhandlungen geprägt und weist Forschungslücken in der Untersuchung der Wirkungseffekte einer Wahlpflicht auf. In der Abhandlung wird erstmals auf Basis eines großen Datensatzes (N = 2047) mit einem experimentellen Forschungsdesign einer dreiwelligen Online-Befragung untersucht, welche Auswirkungen die Einführung einer gesetzlichen Wahlpflicht in Deutschland auf das Informationsverhalten, das politische Engagement und das politische Interesse hat. Mit Ausnahme des Bereichs der Mediennutzung, zeigen die Ergebnisse, dass die Annahmen des spill-over-Effekt nicht bestätigt werden können. Die Einführung einer Wahlpflicht würde folglich zu keiner signifikanten Erhöhung des politischen Interesses, des politischen Wissens, der politischen Informiertheit oder des politischen Engagements führen.