Zusammenfassung
In Reaktion auf sinkende Beteiligungsraten bei Wahlen besteht in der internationalen politikwissenschaftlichen Forschung ein anhaltender Diskurs zu den Wirkungsweisen der Einführung einer Wahlpflicht. Neben der durch eine Wahlpflicht induzierten Steigerung der Wahlbeteiligung und dem Rückgang der sozial-selektiven Beteiligungszusammenhänge werden förderliche Eigenschaften für die politische Bildung und Involvierung der Bürger angenommen („spill-over-Effekt“). Es wird eine Auswertung der Literatur zur Wahlpflicht vorgenommen, welche in Anlehnung an die Hypothesen von Arend Lijphart, zentrale Forschungsbefunde zu den Wirkungseffekten zweiter Ordnung der Wahlpflicht zusammenfasst. Der Diskurs zur Wahlpflicht erscheint sehr stark von theoretischen Abhandlungen geprägt und weist Forschungslücken in der Untersuchung der Wirkungseffekte einer Wahlpflicht auf. In der Abhandlung wird erstmals auf Basis eines großen Datensatzes (N = 2047) mit einem experimentellen Forschungsdesign einer dreiwelligen Online-Befragung untersucht, welche Auswirkungen die Einführung einer gesetzlichen Wahlpflicht in Deutschland auf das Informationsverhalten, das politische Engagement und das politische Interesse hat. Mit Ausnahme des Bereichs der Mediennutzung, zeigen die Ergebnisse, dass die Annahmen des spill-over-Effekt nicht bestätigt werden können. Die Einführung einer Wahlpflicht würde folglich zu keiner signifikanten Erhöhung des politischen Interesses, des politischen Wissens, der politischen Informiertheit oder des politischen Engagements führen.
Der spätestens in den 1980er Jahren einsetzende langfristige Trend sinkender Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen in Deutschland hat sich nach dem historischen Tiefstand von 2009 mit 70,8 Prozent auch 2013 bestätigt . Die Wahlbeteiligung stieg zwar geringfügig um 0,7 Punkte auf 71,5 Prozent an, jedoch ist dieser Wert mit über fünf Prozentpunkten Abstand der zweitniedrigste in der Geschichte der Bundesrepublik . Eine grundlegende Trendwende ist folglich nicht zu erkennen . Ein Rückgang der Wahlbeteiligung ist aber nicht nur auf Bundesebene festzustellen . In größerem Umfang zeichnet sich dieser ebenfalls bei Kommunal-, Landtags-und Europawahlen ab . 1 Vor diesem Hintergrund mehren sich Stimmen, die als effektives Mittel zur Bekämpfung der rückläufigen Wahlbeteiligung die Einführung einer gesetzlichen Wahlpflicht vorschlagen . In der Vergangenheit setzten sich dafür beispielsweise der SPD-Politiker Jörn Thießen 2 sowie der CDU-Politiker Stefan Mayer 3 ein . In der deutschen Politikwissenschaft wird die Forderung erhoben, eine "überfällige" Diskussion über die Einführung einer Wahlpflicht endlich voranzutreiben . 4 Die internationale politikwissenschaftliche Forschung weist eine Vielzahl an Publikationen auf, die unter normativen und theoretischen Gesichtspunkten das Pro und Contra einer gesetzlichen Wahlpflicht beleuchten . 5 Zur Rechtfertigung einer Wahlpflicht wird dabei in der Regel darauf hingewiesen, dass eine Demokratie ohne die Beteiligung ihrer Bürger nicht funktioniere . Das Recht zu wählen sei zudem ein positives Recht, auf das nicht verzichtet werden könne . Eine gesetzliche Wahlpflicht stelle auch keinen größeren Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte dar als andere Pflichten, die Staaten ihren Bürgern selbstverständlich auferlegen (Schulpflicht, Steuerpflicht, Wehrpflicht etc .) . Die Wahlpflicht -
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