Zusammenfassung
Hintergrund Das Gesundheitswesen in Deutschland steht vor einem Umbruch. Die politisch gewollte Ambulantisierung wird dazu führen, dass zunehmend auch komplexere Prozeduren ambulant erbracht werden. Vor dem Hintergrund der derzeit in Deutschland überdurchschnittlich vielen vollstationären Behandlungen wird dies eine Neuorientierung des Gesundheitswesens zur Folge haben, in die sowohl der stationäre Sektor als auch der derzeit ambulante Sektor einbezogen sind. Die gewollte Überwindung der starren Sektorengrenzen setzt Strukturen voraus, mit denen sektorübergreifende Behandlungen in großem Stil möglich sind. Über den derzeitigen Status einer solchen oftmals als „intersektoral“ bezeichneten Behandlung in der HNO-Heilkunde in Deutschland existieren keine Daten.
Material und Methoden Es wurde eine Umfrage unter den Chefärzten und Ordinarien, die Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie sind und von denen eine E-Mail-Adresse vorlag, sowie den niedergelassenen Mitgliedern des Deutschen Berufsverbandes der HNO-Ärzte durchgeführt. Übersandt wurde ein strukturierter Fragebogen. Die Auswertung erfolgte getrennt für Klinikärzte, niedergelassene Ärzte mit und niedergelassene Ärzte ohne Belegabteilung.
Ergebnisse Insgesamt wurden 4548 Fragebögen versandt. Die Rücklaufquote lag bei 493 Bögen (10,8%), wobei die Rücklaufquote seitens der angeschriebenen 170 Klinikleiter mit 52,9% sehr hoch lag. Sektorübergreifend sind die Klinikärzte derzeit in der Regel über eine persönliche Ermächtigung der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung tätig, die niedergelassenen Ärzte im Rahmen des Belegarztwesens. Organisierte Strukturen für eine sektorübergreifende Behandlung von Patienten sind derzeit nicht existent. Als größtes Problem und Hindernis für eine stärkere Ambulantisierung und sektorübergreifende Behandlung wurde sowohl seitens der Klinikärzte als auch seitens der niedergelassenen Ärzte das derzeit völlig unzureichende und dringend reformbedürftige Vergütungssystem angesehen. Weder EBM noch das DRG-System sind in der Lage, ambulante oder tagesklinische Behandlungen auskömmlich zu finanzieren und abzubilden. Daneben wurden seitens der Klinikärzte Probleme mit der Notfallversorgung von Patienten nach Komplikationen, der Weiterbildung von Assistenzärzten und dem Informationsaustausch angegeben. Es wird gefordert, Fachärzte aus Kliniken auch für die ambulante Versorgung zuzulassen. Seitens der niedergelassenen Ärzte werden als positive Merkmale eine gute Kooperation mit der jeweiligen Klinik, der Informations- und Erfahrungsaustausch, das breite Indikationsspektrum, das Vorhalten der Klinikstruktur auch für die Notfall- und Komplikationsbehandlung sowie die in der Regel gute Möglichkeit des kollegialen Austausches genannt. Als negative Punkte werden u.a. die mangelnde Informationsübermittlung, wenn keine festen Ansprechpartner vorhanden sind, die mögliche Konkurrenzsituation zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken und lange Wartezeiten für Patienten angegeben.
Diskussion Der „intersektoralen“ Behandlung kommt im Rahmen der Patientenversorgung beim Umbau des Gesundheitswesens eine Schlüsselrolle zu. Die Umfrage hat ergeben, dass die intersektorale Behandlung in der HNO-Medizin in Deutschland derzeit nur eine untergeordnete Rolle spielt und nur ansatzweise durchgeführt wird. Intersektoral bedeutet hierbei eine Überwindung der starren Sektorgrenzen stationär vs. ambulant, sodass der gesamte Behandlungsprozess des Patienten von der Diagnostik bis zur Nachsorge verzahnt erfolgt und auch von den gleichen Ärzten durchgeführt werden kann. Neben der Schaffung von strukturellen Voraussetzungen für die Durchführung einer intersektoralen Behandlung steht die Schaffung einer auskömmlichen Vergütungsstruktur für die ambulanten und tagesstationären Eingriffe und Prozeduren im Vordergrund. Weder EBM noch das derzeitige DRG-System sind hierbei geeignet. Eine Möglichkeit kostendeckender Refinanzierung kann sich unter Nutzung von Hybrid-DRGs ergeben, über deren Implementierung im Rahmen eines neu zu schaffenden § 115f SGB V derzeit verhandelt wird. Weitere Voraussetzungen sind Kooperationen zwischen Vertragsärzten und Krankenhäusern, und umgekehrt muss es auch für Fachärzte in Krankenhäusern möglich sein, ambulante Behandlungen zu erbringen. Schließlich darf eine intersektorale Behandlung nicht zulasten des Qualitätsmanagements, der Weiterbildung von Assistenzärzten und der Patientensicherheit gehen.