Sucht im Alter ist ein unangenehmes Themafür Betroffene, für ihre Angehörigen und für medizinische Berufe. Suchterkrankung haftet immer der Makel des Selbstverschuldeten an. Auch Begrifflichkeiten wie "Lügen", "Aggressivität" und "wenn der Betroffene nicht will, kann man eh nichts machen" sind häufig. Häufig besteht auch die Vorstellung, dass es allein von der Motivation des Betroffenen abhängt, ob dieser von der Sucht wieder loskommt. Die Umformulierung macht die Unsinnigkeit dieses Ansatzes deutlich: Betroffene haben im Vorfeld der Erkrankung sich entschieden, abhängig zu werden und wollen krank bleiben. Die Forschung hat gezeigt, dass Suchterkrankungen komplizierte neurobiologische Veränderungen im Gehirn mit Beteiligung verschiedener Neurotransmittersysteme zugrunde liegen. Am besten nachvollziehbar wird die Neurobiologie der Sucht anhand der Studien zu Anticraving-Mitteln, also Medikamenten, die den Suchtdruck reduzieren. Studien haben gezeigt, dass bei Alkoholabhängigen die Wirkstoffe Acamprosat und Naltrexon jeweils die Abstinenzquote verdoppeln, die Kombination beider Präparate sogar noch höhere Abstinenzquoten ermöglichen [1]. Dabei haben diese Mittel keine psychotrope Wirkung im engeren Sinne, machen also nicht ruhiger, entspannter oder zufriedener, sondern wirken "nur" auf den Suchtdruck. Merke Ein wesentlicher Schlüssel für den Umgang ist, das Krankheitsbild "Sucht" als eine neurobiologische Erkrankung zu verstehen und moralisierende Wertungen zu unterlassen. Beim Thema Motivation für die Bedeutung der Behandlung muss zunächst festgehalten werden, dass ein Symptomkomplex der Suchterkrankung eine Verleug-nung bzw. Bagatellisierung im Sinne einer verzerrten Selbstwahrnehmung bezüglich Konsummenge und Konsumfolgen ist. Dadurch wird der Leidensdruck, der bei jeder Erkrankung der Motor zum Aufsuchen von Hilfe ist, deutlich reduziert. Auch das Rückfallgeschehen unterliegt nicht der freien Willenssteuerung. Bei einem depressiven Patienten würde nur ein unbedarfter Laie sagen: "Stell dich nicht so an, die Welt und dein Leben sind doch schön, warum traurig sein". Auch bei einer Schizophrenie würde der Ansatz, es liegt an dem Betroffenen selbst, ob er Stimmen oder Wahnvorstellungen zulassen möchte oder nicht, nur Kopfschütteln auslösen. Bei Suchtkranken wird aber erwartet, dass sie allein über ihren Willen die Erkrankung in den Griff bekommen.