DieDebatte über Leoš Janáčeks musikgeschichtlichen Ort ist auffallend intensiv und gilt überwiegend der Frage, ob und in welcher Weise Janáček ein moderner Komponist sei, seine Musik also der Moderne angehöre. Die Gründe für die ungewöhnliche Intensität, mit der man sich dieser aus heutiger Perspektive etwas seltsam anmutenden Frage gewidmet hat, dürften zum einen in dem Umstand zu suchen sein, dass Janáč ek zwar 20 Jahre älter als Schönberg und nur 21 Jahre jünger als Brahms, der quantitativ wie qualitativ gewichtigste Teil seines OEuvres aber erst nach dem Ersten Weltkrieg entstanden ist, zum anderen aber auch darin, dass die Geschichte der Musik der Moderne nicht nur in der deutschsprachigen Musikhistoriographie üblicherweise zentral entlang solcher Tendenzen erzählt wird, die in der "deutschen" und "österreichischen" Musik zum Tragen gekommen sind, während andere Tendenzen als Teile nationaler Sonderentwicklungen und als Phänomene von nur peripherer Bedeutung verbucht werden.Es geht mir hier mitnichten darum, den Nachweis von Janáčeks "Modernität" oder etwa den des Gegenteils zu erbringen, sondern allein darum, in einer kursorischen Analyse der einschlägigen Debatte 2 einige Argumentationslinien und diskursive Strategien, mittels deren Janáč ek der Moderne zugeordnet worden ist, herauszuarbeiten. Somit soll dies kein Beitrag zur Debatte über die Frage nach Janáčeks Modernität, sondern einer zur Untersuchung der diese Debatte bestimmenden modernetheoretischen Positionen sein. Mit der Rede von "Konstruktionen" von Janáčeks Modernität soll daher auch nicht angezeigt werden, dass es sich bei diesen Positionen um irgend falsche, irrige oder gar lügenhafte Annahmen und Behauptungen handle, sondern einzig, dass sie dazu gezwungen sind, mit anderen derartigen Positionen in Konkurrenz zu treten und ihren Wahrheitsanspruch diskursiv durchzusetzen.
Die "realistische" KonstruktionDie Konstruktion, die Janáčeks Modernität in seinem "Realismus" erblickt, ist die, die am ehesten für sich beanspruchen kann, durch Janáčeks Selbstbild gedeckt zu sein. In den historiographischen Diskurs scheint sie indessen Vladimír Helfert eingeführt zu haben. In der nicht einmal ganze acht Seiten umfassenden Passage seiner Gesamtdarstellung der neueren tschechoslowakischen Musik, in der er Janáček behandelt 3 , finden sich an nicht weniger als neun Stellen die Worte "Realismus" und "realistisch" 30 T H E M A Mag. Dominik Schweiger ist Lehrbeauftragter an der Musikuniversität Wien.