Es ist der langjährige Verdienst von Birgitt Röttger-Rössler, dass wir heute im deutschsprachigen Raum das Forschungsfeld der Psychologischen Anthropologie vorfinden, die sich nicht zuletzt mit der soziokulturellen Spezifität des Emotionalen und Affektiven beschäftigt. Anhand indonesischer Fallstudien vermochte Röttger-Rössler aufzuzeigen, dass sich emotionales Erleben und Verhalten durch komplexe biokulturelle Prozesse ausbildet und dass es unzulässig ist, das Spannungsverhältnis von Biologie und soziokulturellem Kontext zugunsten eines einzelnen Faktors aufzulösen. Sie verstand früher als die meisten mono-disziplinär ausgerichteten Forscher:innen, dass Biologie und Kultur in keiner hierarchischen Beziehung zueinanderstehen, sondern sich vielmehr gegenseitig bedingen (Röttger-Rössler 2002, 2004; Röttger-Rössler und Markowitsch 2009). Eine wichtige Erkenntnis von Röttger-Rössler ist, dass menschliche Gefühle nur interdisziplinär in ihrer ganzen Vielschichtigkeit erfasst werden können und dass sich die Sozialund Kulturanthropologie nicht auf einer kulturrelativistischen Position ausruhen kann, sondern kulturvergleichend vorgehen muss (Röttger-Rössler 2002, 2020). Dieser Beitrag basiert auf dem bi-disziplinär angelegten Forschungsprojekt Sozialisation und Ontogenese von Emotionen im Kulturvergleich, das zwischen 2009 und 2014 am Exzellenz-Cluster Languages of Emotion an der Freien Universität Berlin angesiedelt war und gemeinsam von der Anthropologin Röttger-Rössler und dem Entwicklungspsychologen Manfred Holodynski geleitet wurde. Die zentralen Fragestellungen lauteten: Wie erlernen Kinder das emotionale Repertoire ihrer Gesellschaft? Welche Emotionen spielen im Sozialisations-und Erziehungsprozess eine gewichtige Rolle? Um dies zu erforschen, führten meine Kolleg:innen Gabriel Scheidecker, Susanne Jung und ich zwischen 2009 und 2012 stationäre Feldforschungen bei den Bara in Madagaskar, den Minangkabau in Indonesien und bei den Tao in Taiwan durch, die über eine Dauer von mindestens 12 Monaten verfügten. Bislang liegen nur Kulturvergleiche zwischen den Minangkabau und den Bara (Röttger-Rössler et al. 2013) sowie zwischen den Tao und den Bara (Funk et al. 2012; Röttger-Rössler et al. 2015) vor; eine alle drei Gesellschaften umfassende Analyse steht noch aus. In diesem Beitrag möchte ich mich auf systematische Weise mit den primären sozialisierenden Emotionen in den drei von uns untersuchten soziokulturellen Settings beschäftigen: mit "Furcht" (tahotsy) bei den Bara, "Angst" (maniahey) bei den Tao und "Scham" (malu) bei den Minangkabau. Mein besonderes Augenmerk richtet sich dabei nicht so sehr auf einzelne emotionale Qualitäten, sondern auf komplexe, emotionale und affektive Dynamiken, die auf vielfältige Weisen mit diversen soziokulturellen Parametern und naturräumlichen Kontexten verbunden sind. Ich gehe davon aus, dass sozialisierende Emotionen auf regelgeleitete Weise bestimmte Konfigurationen des Emotionalen und Affektiven hervorbringen und somit prinzipiell hinsichtlich der sich aus ihnen ergebenden emotiona...