Autobiographisch inszenierte SelbstAussagen, so genanntes »selfstaging«, »selffashioning« (Greenblatt 1980) oder (teils selbst wieder ironisiertes oder konventionalisiertes) ›Selbstmaskieren in der eigenen Rolle‹,1 gehören mit zum Repertoire derjenigen Textgruppenbildung, die Leser heute typischerweise als Lyrik zu bezeichnen pflegen. Seit der Antike gibt es eine reiche Lyriktradition, in der sich Dichter gleichzeitig als textexterne Urheber ihrer Gedichte sowie als Refe renz des ›Ichs‹ in ihren Gedichten inszenieren. Berühmt ist etwa die Doppelrolle von ›poeta‹ und ›amator‹, die das ›Ich‹ in Ovids Amores für sich beansprucht (vgl. Fischer 2007, 18-24). Auch im Mittelalter, etwa in der editorischen Verbindung von Troubadourlyrik und Troubadourviten (den so genannten ›razos‹, vgl. Boutière und Schutz 1964), wird die leserseitige Faszination für die Biographie des empi rischen Dichters gezielt angeregt und bedient. Auf diese Tradition der provenza lischen ›razos‹ greift dann etwa Dante in Vita Nova (um 1293) zurück, indem er seine Sonette und Canzonen in die ProsaLebenserzählung eines »Ichs« einbettet, das sich selbst Eigenschaften zuschreibt, die auch der reale Autor Dante nach prüfbar und für das zeitgenössische florentinische Publikum bekanntermaßen hatte. Das »Ich« in der Rahmenerzählung von Vita Nova hat also die Wirkungs disposition, von Rezipienten als Referent für Dante selbst aufgefasst zu werden, und die Aussagen dieses »Ichs« könnten somit prinzipiell als Äußerungen mit Anspruch auf Referenzialisierbarkeit dem realen Dichter zugeschrieben werden. Zudem teilt dieser RahmenIcherzähler in Vita Nova für jedes Gedicht, das er in seinen Prosatext einbettet, minutiös mit, bei welchem Anlass und unter welchen 1 Etwa so, wie in modernen Filmen ein Schauspieler ›as himself‹ auftreten kann. Dabei bewegt sich der reale Schauspieler nicht metaleptisch in die fiktive, vom Film dargestellte Welt hinein, sondern er spielt im Film nach einem festgelegten Skript sich selbst. Die Rolle könnte also nicht ohne Sinnverlust mit jemand anderem besetzt werden (vgl. dazu etwa Genette 2004, 71, Molières Komödien, oder auch für die Lyrik im Folgenden das RonsardBeispiel).