Zusammenfassung
Hintergrund: Neben voll zugelassenen Phytopharmaka gibt es auch Produkte auf dem europäischen Arzneimittelmarkt, die auf Basis langjähriger Anwendung als traditionelle Arzneimittel registriert sind. Diese fallen durch das Raster des normalen Zulassungsverfahrens, weil sie den Wirksamkeitsnachweis, wie er zur Vollzulassung gesetzlich aufgrund einer EU-Richtlinie vorgeschrieben ist, derzeit nicht erbracht haben. Zur Zulassung ist unter anderem ein Traditionsnachweis erforderlich, der bislang unterschiedlich gehandhabt wird und nicht den erforderlichen Good Practice-Kriterien entspricht.
Methode: Selektive Literaturrecherche in PubMed und medizin- und pharmaziehistorischen Datenbanken, Befragung von mit der Zulassung befassten Experten, Konsensuskonferenz mit Teilnehmern aus Allgemeinmedizin, Phytotherapie, Medizingeschichte, Pharmaziegeschichte, Biometrie, Ethnopharmakologie und Pharmazeutischer Industrie.
Ergebnisse: Die derzeit für die Zulassung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel geltende EU-Richtlinie aus dem Jahr 2004, in der ein Traditionsnachweis gefordert wird, ist ein regulatorisches Konstrukt und vor allem das Ergebnis eines politischen Prozesses, der zu einem pragmatischen Kompromiss führte. In dieser Richtlinie wird ein Traditionsbegriff verwendet, der den Bedeutungsumfang dieses Terminus nicht hinreichend reflektiert. Maßstab ist einzig das 30-jährige Vorhandensein eines definierten Handelspräparates auf dem Markt (davon 15 Jahre in der EU). Damit wird der wissenschaftliche Gehalt in Hinblick auf die verfügbare Evidenz nicht ausgeschöpft, da sich aus richtig aufbereiteten Informationen aus historischen Quellen wertvolle Erkenntnisse gewinnen lassen, die bislang ungenutzt bleiben. Dies gilt für Indikationen, Anwendungsmodalitäten und Effektivität ebenso wie für Aspekte der Anwendungssicherheit (‚Unschädlichkeit‘), die vollumfänglich in die Nutzen-Risiko-Bewertung angewandter Präparate im Registrierungsverfahren, aber auch in der therapeutischen Praxis einfließen sollten.
Schlussfolgerung: Um das Kriterium einer evidenzbasierten Medizin zu erfüllen, ist es bei der Zulassung traditioneller pflanzlicher Heilmittel unabdingbar, über die formal-regulatorischen Vorgaben (30 Jahre, Produktbezug) hinaus alle zur Verfügung stehenden Fakten zu erfassen und zu bewerten. Dazu ist die jeweilige anerkannte wissenschaftliche Methodik (aus den Natur-, Lebens- und Geisteswissenschaften) anzuwenden.