ZusammenfassungZahlreiche epidemiologische Studien zeigen, dass es sich bei Orthorexia nervosa, der zwanghaften Fixierung auf gesundes Essen, um ein bekanntes und verbreitetes Phänomen in verschiedenen Ländern und Kulturen handelt (Prävalenzen zwischen 1 und 7% in der deutschen Allgemeinbevölkerung). Die Diskussion, ob es sich dabei jedoch lediglich um ein gesellschaftliches Phänomen bzw. Verhaltensauffälligkeit handelt, eine (subklinische) Essstörung oder eine Zwangsstörung, oder ob man dieses Verhalten zur Gruppe der Verhaltenssüchte zählen sollte, steht dabei ganz am Anfang. Nur wenige Studien beschäftigen sich mit dieser differenzialdiagnostischen Abgrenzung. Unter Beachtung der Uneinigkeit in Bezug auf die Definition des Phänomens legen aktuelle Studien am ehesten eine Klassifizierung im Rahmen der Essstörungen nahe. Zweifel entstehen v. a. aus dem deutlichen Überlappungsgrad zu anderen Lebensstilmerkmalen. Ähnlich rar sind Studien, die die klinische Relevanz eines orthorektischen Essverhaltens nachzeichnen sowie mögliche Entstehungsmechanismen thematisieren. Alter und Geschlecht spielen nach aktuellen Erkenntnissen eine eher untergeordnete Rolle. Studien zum Einfluss von Bildung und Gewicht deuten auf einen schwachen bis moderaten U-förmigen Zusammenhang mit orthorektischen Verhaltensweisen. Ebenso werden Aspekte wie Schönheitsideal, Perfektionismus sowie Fitness- und Gesundheitsorientierung immer wieder als relevant beschrieben. Studien zu neuropsychologischen und biologischen Korrelaten fehlen fast komplett. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand, zeigt verschiedene Erklärungsansätze und reflektiert kritisch über den aktuellen Wissensstand.