Zusammenfassung Die Fragmentierung europäischer Parteiensysteme und damit verbundene Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung haben zu einer Neuauflage altbekannter Debatten über unterschiedliche Wahlsysteme geführt. Einige Autoren sehen dabei bestimmte Wahlsysteme als optimalen Kompromiss zwischen den Prinzipien der Mehrheits-und der Verhältniswahl an. Wir argumentieren, dass diese Optimalitätsargumente eine konzeptionelle Schlagseite zugunsten "majoritärer" Demokratiekonzeptionen haben. Eine anspruchsvolle "proportionale" Demokratiekonzeption umfasst die Ziele mechanischer Proportionalität, multidimensionaler Repräsentation und wechselnder Gesetzgebungsmehrheiten. Diese Ziele lassen sich allerdings im parlamentarischen Regierungssystem nicht mit den Zielen der Mehrheitswahl vereinbaren. Der Grund ist, dass die relevanten Hürden des Wahlsystems gleichzeitig für die parlamentarische Repräsentation und die Teilnahme am Misstrauensvotum gelten. Erstere ist entscheidend für die proportionale, letztere für die majoritäre Konzeption der Demokratie. Sind wir bereit diese beiden Hürden zu entkoppeln -und somit das Regierungssystem zu verändern -ergibt sich eine Vielfalt neuer Reformoptionen. Wir illustrieren diese Punkte mit Daten für 29 demokratische Systeme im Zeitraum von 1995 bis 2015.
Schlüsselwörter Regierungssysteme · Demokratietypen · WahlsystemeAbstract The increased fragmentation of European party systems and the resulting difficulties of government formation have led to renewed debates about electoral systems. Some authors characterize certain electoral systems as optimal compromises between "proportional" and "majoritarian" conceptions of democracy. We argue that these optimality arguments are biased towards the majoritarian conception. Ambitious proportional conceptions embrace the goals of mechanical proportionality, multidimensional representation and flexible, issue-specific legislative coalitions. However, in parliamentary systems of government these goals cannot be reconciled with majoritarian goals. This is because in parliamentarism the same electoral threshold applies to parliamentary representation and to participation in the vote of nonconfidence procedure. The first threshold is crucial for the proportional, the latter for the majoritarian conception of democracy. If we are willing to decouple the two thresholds -and hence change the form of government -new avenues for reform open up. We illustrate our arguments using data for 29 democratic systems between 1995 and 2015.
Keywords Forms of government · Types of democracy · Electoral systems1 Einleitung Die europäischen Parteiensysteme werden fragmentierter. In den Niederlanden etwa gibt es heute 13 Parlamentsparteien, von denen die größte gerade einmal 22 % der Sitze gewonnen hat. Auch in Deutschland hat die Fragmentierung zugenommen, wodurch die Bildung von Regierungen schwieriger wird (Bräuninger et al. 2018). Zudem führen neue Konfliktlinien häufig dazu, dass sich in Wahlkämpfen nicht mehr zwei klar erkennbare Lager gegenüberstehen -so wie in ...