ZusammenfassungChronische Lähmungen, zum Beispiel infolge eines Schlaganfalls oder einer Rückenmarksverletzung, können die Selbstständigkeit und soziale Teilhabe Betroffener erheblich einschränken. Aufgrund des demographischen Wandels sowie der verbesserten Überlebenswahrscheinlichkeit nach schwerem Schlaganfall wird die Zahl chronisch Gelähmter in den nächsten Jahren in Deutschland stark ansteigen. Doch trotz zahlreicher medizinischer Fortschritte existiert derzeit kein etabliertes Verfahren, um schwere Lähmungen effektiv zu behandeln. Ein vielversprechender Ansatz, um die Bewegungsfähigkeit chronisch Gelähmter wiederherzustellen, bedient sich sog. Gehirn-Computer-Schnittstellen (engl. brain-computer interfaces, BCIs), die elektrische, magnetische oder metabolische Hirnaktivität in Steuersignale robotischer Systeme übersetzen. Wird eine charakteristische Veränderung der Hirnaktivität festgestellt, die typischerweise während einer Bewegungsabsicht der Finger oder Beine auftritt, so wird dieses Signal in ein Steuersignal eines motorisierten Stützgerüstes (Exoskeletts) übersetzt, das die gelähmten Finger oder Beine aktiv bewegt. So konnten Querschnittsgelähmte mit kompletter Fingerlähmung erstmals wieder selbstständig essen und trinken. Nutzen Schlaganfallüberlebende mit chronischer Fingerlähmung ein solches neurales Exoskelett über mehrere Wochen zeigte sich zudem ein weiterer Effekt: Der wiederholte Einsatz führte zu einer funktionellen und strukturellen Reorganisation ihres Nervensystems sowie einer deutlichen Verbesserung ihrer Arm- und Handfunktion. Ein ähnlicher Effekt konnte auch bei Querschnittslähmung für die untere Extremität nachgewiesen werden. Derartige neuroplastischen Prozesse sind über die motorische Domäne hinaus denkbar. Entsprechend könnten BCI Systeme auch zur gezielten Verbesserung anderer Hirnfunktionen, beispielsweise des Arbeitsgedächtnis oder der kognitiven und affektiven Kontrolle, eingesetzt werden. Dies verspricht, dass klinische BCIs in naher Zukunft nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung von Lebensqualität und sozialer Teilhabe chronisch Gelähmter spielen werden, sondern auch von Menschen mit psychischen Leiden, wie Depressionen, Sucht oder neurodegenerativen Erkrankungen.