Zusammenfassung
Hintergrund Forschungsprioritäten können dazu beitragen, Evidenz in den Bereichen zu entwickeln, die für Patient*innen und Kliniker*innen am wichtigsten sind. Forschungsprioritäten werden jedoch in der biomedizinischen Forschung nur unzureichend berücksichtigt.
Ziel Beschreibung der Berücksichtigung von Forschungsprioritäten in der physiotherapeutischen Forschung in Deutschland.
Methode Analyse von physiotherapeutischen Berichten aus Deutschland, die zwischen 2011 und 2020 in der Fachzeitschrift physioscience publiziert wurden. Für jeden eingeschlossenen Bericht wurde die primäre Forschungsfrage und/oder der Hauptgegenstandsbereich identifiziert und, falls möglich, einem spezifischen Gesundheitszustand zugeordnet. Danach wurde für jeden Bericht geprüft, ob eine gesundheitszustandsspezifische Forschungspriorität (von der James Lind Alliance oder aus wissenschaftlichen Datenbanken) bzw. eine der Top 26 der physiotherapiespezifischen Forschungsprioritäten des britischen Berufsverbandes „The Chartered Society of Physiotherapy (CSP)“ aus 2018 adressiert wurde. Die Datenanalyse erfolgte deskriptiv.
Ergebnisse Es konnten 78 Berichte in die Analyse eingeschlossen werden. Die häufigsten Studientypen waren Übersichtsarbeiten (17/78, 22 %), Beobachtungsstudien (16/78, 21 %) und Umfragen (13/78, 17 %). Für die Analyse der gesundheitszustandsspezifischen Forschungsprioritäten konnten 51 Berichte berücksichtigt werden. In 51 % dieser Berichte (26/51) wurde eine der 10 wichtigsten Forschungsprioritäten des jeweiligen Themengebiets adressiert. In den übrigen Berichten wurde keine gesundheitszustandsspezifische Forschungspriorität berücksichtigt (13/51, 25 %) oder die Priorität gehörte nicht zu den Top Ten (12/51, 24 %).Für die Analyse der physiotherapeutischen Forschungsprioritäten wurden alle 78 Berichte berücksichtigt. In 21 % dieser Berichte (16/78) wurde eine Top-Ten-Priorität adressiert. In den übrigen Berichten wurde eine weniger wichtige Priorität adressiert (Listenplatz 11–26; 25/78, 32 %) oder das Forschungsthema des Berichts gehörte nicht zu den Top 26 (37/78, 47 %).
Schlussfolgerung Die vorliegende Studie liefert erste Hinweise darauf, dass Forschungsprioritäten in der physiotherapeutischen Forschung in Deutschland nur unzureichend berücksichtigt werden. Ein erheblicher Teil der Forschung scheint somit an den Bedürfnissen von Patient*innen und Kliniker*innen vorbeizugehen. Die Berücksichtigung existierender Forschungsprioritäten und die Entwicklung nationaler Forschungsprioritäten für die Physiotherapie in Deutschland könnten dazu beitragen, den Nutzen der physiotherapeutischen Forschung für die öffentliche Gesundheit zu vergrößern.