EinleitungDie Spannbreite der Erfahrungen und Perspektiven, die sich mit den Begriffen Kriminalität und Delinquenz verbinden, ist enorm. Bankraub gehört ebenso zu dazu wie Insidertrading, körperliche Züchtigung der eigenen Kinder gleichermaßen wie Partnertötung, Ladendiebstahl ebenso wie Anlagebetrug, Schuleschwänzen, Schutzgelderpressung und Haschischkonsum. Kriminalität ist konkrete Erfahrung und mediale Konstruktion, Normalität und Extreme, Wahlkampfthema und Berufsfeld. Für die, die als Handelnde oder Erleidende direkt in Kriminalität involviert sind, reichen die Erfahrungen von Nervenkitzel und Freude über Routine, Frustration, Alltagsärgernis und Lebensschicksal. Kalkuliert man die durch Kriminalität verursachten Schäden und rechnet die Ausgaben für Polizisten, Staatsanwälte, Richter und Gefängnisse dazu, so kommt jährlich ein hoher Milliardenbetrag zusammen. Summiert man andererseits den durch reale und fiktive Geschichten von Kriminalität erzielten Umsatz von Zeitungen, Buchverlagen und Privatsendern, so zeigt sich ebenfalls eine beachtliche ökonomische Bedeutung. Kriminalität qualifiziert sich sicherlich für einen Spitzenplatz in der Rangliste sozialer Probleme. Als etwas, das per definitionem gegen die soziale Ordnung und gegen Normen verstößt, ist Kriminalität und Delinquenz immer ein soziales Problem, gemessen an eben diesen Normen. Da, wie schon Emile Durkheim (1982 [1895]) feststellte, die Existenz von sozialen Normen notwendigerweise auch die Abweichung von diesen Normen bedingt, und Kriminalität daher zur Normalität jeder Gesellschaft gehört, kann auch der Diskurs über dieses Problem auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken. Die Definitionen von und Reaktionen auf Kriminalität unterliegen einem historischen Wandel, der von gesellschaftspolitischen Grundströmungen getragen wird (Garland 1990b, 1991). Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Kriminalität und Delinquenz ist ebenso vielfältig und widersprüchlich wie die Phänomene selbst und lässt sich daher nur schwer überschauen und synthetisieren. Um das soziale Problem Kriminalität und Delinquenz in einem Überblicksartikel zu behandeln, ist also ein gewisses Maß an Vereinfachung und Weglassen unabdingbar. Allerdings haben viele der in diesem Handbuch behandelten sozialen Probleme häufig auch einen direkten Bezug zu Kriminalität, stellen gar spezifische Delikttypen dar (a Bannenberg: Korruption und Wirtschaftskriminalität als soziales Problem; a Groenemeyer: Drogen, Drogenkonsum und Drogenabhängigkeit; a Müller/Schröttle: Gewalt gegen Frauen und Gewalt im