Europäische Adelsgesellschaft und deutsche Nation in der Frühen Neuzeit 1. Verortungen-zum Spannungsfeld von nationalen und transnationalen Bezügen des frühneuzeitlichen Adels Er sei stolz gewesen, aus Flandern zu stammen und dennoch Frankreich als das Land zu lieben, in dem er sich am wohlsten gefühlt habe. Mit dem Solidaritäts-Plural-"bei uns"-sei "Österreich" gemeint gewesen, obwohl er sich in diesem Sinne auch stolz mit Deutschland ("unserem Deutschland") identifizierte. Polen vergötterte er, mit Ungarn habe er sich stets besonders verbunden gefühlt, und auch gegenüber Rußland empfand er keinerlei Ressentiments. Alle diese Länder kannte Charles-Joseph Prince de Ligne (1735-1814), der einem alten und bedeutenden Hochadelsgeschlecht der südlichen Niederlande entstammte, von längeren Aufenthalten aus eigener Anschauung her, und so nimmt es nicht wunder, daß sein Biograph ihn als Verkörperung eines im emphatischen Sinne "europäischen Adligen" präsentiert, als "prince d'Europe" 1. Die europäischen Bezüge waren freilich bereits familiäres Erbe: Die Familie de Ligne war schon im Spätmittelalter am Kaiserhof und in Frankreich präsent. In der Frühen Neuzeit war sie dann nicht nur die führende Adelsfamilie der südlichen Niederlande als Mitglied der Stände des Hennegaus, des Artois und Flanderns, sondern zählte auch zu den spanischen Granden und schließlich zu den Fürsten des Heiligen Römischen Reiches 2. Als Repräsentanten der vorrevolutionären europäischen Adelskultur sahen Charles-Joseph de Ligne freilich auch schon seine Zeitgenossen. An den großen europäischen Höfen des Ancien Regimes galt er als vollendeter Höfling und Adliger, der alles das repräsentierte, was die Zeitgenossen als Essenz der Adelswelt des Ancien Regime ansahen: Weltläufigkeit, Esprit, persönlichen Mut und Geltungssucht, die ihn sowohl als Schriftsteller wie auch Militär brillieren ließen. Sein Begräbnis während des Wiener Kongresses war 1814 ein europäisches Ereignis: Wenn die versammelte europäische Elite dem Trauerzug ein letztes Geleit gab, so