Umgang mit Grenzverletzungen

Abstract

Fehlverhalten in professionellen Beziehungen thematisiert einen grundlegenden ethischen Sachverhalt -gemäß dem Rollenverständnis setzen sich Fachleute für ihre Klienten ein und sie bemühen sich um deren Wohlergehen, insbesondere in der Psychotherapie. Die ethischen Grundsätze do no harm und do your best werden in zahlreichen Beiträgen angeführt. Fehlverhalten umfasst alle möglichen Aspekte, die eine Abweichung von professionellen Standards darstellen. Ein Fehlverhalten und die Verletzung persönlicher Grenzen verkehren die Behandlungsgrundsätze in ihr Gegenteil. Die individualpathologische Sichtweise verkennt die strukturellen Bedingungen der Psychotherapie -eine ethische Diskussion des Sachverhaltes muss deswegen zwingend um die gesellschaftspolitischen Aspekte erweitert werden, wie dies Andrea Schleu in ihrem Buch ausführt. Damit geraten die Verantwortlichen von Institutionen zwangsläufig mit in den Fokus -bagatellisieren sie den Sachverhalt oder nehmen sie den Schutz der Klienten ernst? Zu bemängeln ist nach wie vor, dass das Problem von Fehlverhalten in der Psychotherapie wenig Beachtung erfährt, während über andere Disziplinen inzwischen öfters berichtet wird. Darüber hinaus ist eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber der Thematik festzustellen -Politik und Öffentlichkeit scheinen regelrecht abgestumpft.Grenzverletzungen in professionellen Beziehungen treffen vulnerable Personen 1 , nicht nur in der Psychotherapie. In allen Situationen von Übergriffen im fachlichen Kontext sind die Opfer von den Tätern abhängig und die Täter haben deutlich mehr Macht. Seien es SchülerInnen in pädagogischen Situationen, seien es PatientInnen im Gesundheitswesen, seien es HeimbewohnerInnen, seien es junge SportlerInnen, sei es im Freizeitbereich wie beispielsweise bei den Pfadfindern oder sei es im kirchlichen Kontext. Die Täter sollten Rollenvorbilder sein, sie nutzen ihre Machtposition jedoch aus. Wenn der Arzt, bei dem man Hilfe sucht, verlangt, dass man sich freimacht, wird kaum jemand widersprechen. Wenn der Klassenlehrer einen Schüler mit Nachsitzen straft, wird das kaum mit (sexualisierter) Gewalt und Machtmissbrauch in Verbindung gebracht. Die Wahrnehmung und die Akzeptanz des Problems sind die zentralen Voraussetzungen zur Implementierung von Schutzkonzepten gegen Machtmissbrauch sowie sexualisierte Gewalt, und Institutionen stellen dabei Hochrisikobereiche für Machtmissbrauch und Ausbeutung dar.Tatbereite Fachleute nutzen ihre Aufgabe und Rolle zum Grooming von potenziellen Opfern -und möchten möglichst rasch und unbehelligt zum Ziel gelangen. Es ist naheliegend, dass sie geeignete Opfer aus dem ihnen anvertrauten Personenkreis aussuchen. Mit Grooming wird die Manipulation und Widerstandsminderung beim Opfer bezeichnet -und Grooming wird auch dazu eingesetzt, Verantwortliche, Mitarbeiter und Angehörige zu täuschen und hinters Licht zu führen. Der Rechtsstaat soll Menschen vor Verletzung ihrer persönlichen Integrität schützen. Zahlreiche Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit haben jedoch das Versagen der Institut...

Nil nocere: How to avoid harm in psychotherapy training.

“…At this point in time, the database comprises more than 1,000 cases that were classified into different kinds of unethical and problematic therapist behaviors, including different kinds of boundary crossings/violations. Based on several studies conducted by our group (Schleu, 2021), Table 16.2 summarizes the most important categories and their percentage of occurrence, including what the organization considers as "boundary crossings" (lack of information and documentation, missing informed consent, and the refusal to disclose treatment related files) and "severe boundary violations" (different kinds of enmeshment of and collusions between patient and therapist, lack of empathy, unexplained terminations, therapist induced terminations, violations of confidentiality, and all kinds of abuse).…”

“…In a recent book dealing with boundary violations, Schleu (2021) tried to show that the roots for the susceptibility to mis perform can often be found in the therapies that trainees have conducted themselves during their training, which is a mandatory element of any training in many therapeutic schools and training systems. Besides an insufficient consideration of negative effects in general, training therapies and supervision can be affected by inequalities, dependencies, and defense mechanisms that are prevalent in training institutes.…”

“…While these issues have been covered extensively by others (e.g., Gabbard, 2016), some preventive strategies to reduce or avoid boundary violations within psychotherapeutic institutions can be highlighted. Aside from recommendations previously identified, these include informing trainees about the risks of harmful effects of training therapies and supervisory experiences; encouraging trainees to seek personal therapy outside the training institute if and when needed; providing trainees with opportunities to receive sponsorships/ mentorships from more advanced trainees, to consult with internal and external ombudsmen/women, and to change training therapists without negative consequences; offering seminars on errors and boundary violations; being open to speaking about errors in training therapies; providing "best practice collections" related to the handling of erotic and aggressive transference/countertransference; employing quality assurance strategies which might include specific qualification and regular recertification for trainers, teachers, and supervisors; using audio-and/or videorecords for supervision/intervention; and conducting both internal and external evaluation of the training institute (see Schleu, 2021).…”

Sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch im Kontext von Psychotherapieinstituten – Erkenntnisse aus einer institutionsbezogenen Fallstudie

“…durch die nachhaltige Akzentuierung der Perspektiven betroffener Patient*innen verdient gemacht. Neben den von den Mitgliedern dieser Organisation erarbeiteten zahlreichen Veröffentlichungen 2 sind als weitere Referenzwerke vor allem die Bücher von Becker-Fischer & Fischer 3 , Hirsch 4 Kind 5 und Zwettler-Otte 6 zu nennen, die wichtige Beiträge zur Transformation des Themas aus einer kaum berührbaren Tabuzone in einen längst überfälligen ethischen Diskurs leisteten. Dieser profitierte in Deutschland von Arbeiten, die seit den 1980er Jahren in den USA veröffentlicht wurden 7 8 , wobei zunehmend auch institutionelle Dynamiken bei sexualisierter Gewalt durch (zumeist männliche) Psychotherapeuten in den Blick gerieten 9 .…”