Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird der krisenspezifische Einfluss der Covid-19-Pandemie auf wohlfahrtsstaatliche Solidarität während der ersten Infektionswelle und des ersten Lockdowns von März bis Mai 2020 untersucht. Wir verknüpfen dabei ein wohlfahrtsstaatssoziologisches Verständnis von Solidarität mit katastrophensoziologischen Überlegungen zu krisenspezifischer Solidarität und einer differenzierungstheoretischen Sichtweise auf Institutionenwandel. Mittels einer strukturierenden Inhaltsanalyse der Bundestagsplenarprotokolle wird ein innerparlamentarischer Solidarisierungsdruck nachgezeichnet, der zu einer krisenspezifischen Vergemeinschaftung führt. Durch die qualitative Analyse der Parlamentsdebatten verdeutlichen wir zudem die temporäre Begrenzung dieses Zusammenhangs, der nach erfolgreicher Rekonstitution einer gemeinsamen normativen Basis der Parlamentsmitglieder die Wiederaufnahme von parteipolitischen Solidaritätskonflikten erst ermöglichte. Auf einer weiteren Ebene arbeiten wir die Stabilisierungsfunktion von wohlfahrtsstaatlicher Solidarität als abstrakter normativer Leitidee heraus, die auch in konflikthaften Aushandlungen von sozialpolitischen Maßnahmen ihre Wirkung entfaltet.