Identitätsbildung Bernhard van Treeck Das Besondere am Writing ist, dass es nach wie vor in der hauptsächlich praktizierten Form illegal ist. Deswegen ist es zwar relativ verbreitet, kann aber auf bestimmte Formen der Medienpräsenz nicht zurückgreifen. Bezüge zwischen Maler und Bild sind in der Regel nicht herstellbar. Während ein HipHopper zum Beispiel durchaus Interesse daran hat, bei der Allgemeinbevölkerung bekannt zu werden, damit seine Platten sich besser verkaufen, ist das für einen Writer nicht erstrebenswert. Im Gegenteil, es besteht für ihn ein großes Interesse daran, anonym zu bleiben. Darin besteht der eigentliche Unterschied dieser verwandten Szenen. Abbildung 1: »Pest«-Panel und Tags im typischen Dortmund-Style Foto: Bernhard van Treeck Styles-Typografie als Mittel zur Identitätsbildung | 103 Was bedeutet überhaupt Identitätsbildung? Es bedeutet, sich festzulegen, was man einerseits sein möchte, andererseits aber nicht sein möchte. Das hört sich sehr banal an, kann für den Einzelnen jedoch durchaus schwierig sein. Stets müssen Entscheidungen getroffen werden, ob man eine Sache macht oder nicht macht, ob man sie gut findet oder nicht. Das sind Prozesse, die in der Writerszene eine ganz wesentliche Rolle spielen. Schrift dient normalerweise der Kommunikation. Inhalte werden vermittelt über Schrift. Bei den Styles sieht das anders aus. Betrachtet man Schriftbilder, so genannte Pieces, können Sprayer zwar lesen, was dort steht und von wem es ist. Jemand, der nicht aus der Szene kommt, wird aber die Buchstaben oft schwerlich entziffern können. Die Buchstaben eines Pieces dienen nicht dazu, einen Inhalt zu vermitteln. Sie sind im Gegenteil so verschlüsselt dargestellt, dass sie für den Außenstehenden eben nicht lesbar sind. Daraus zwanglos ablesbar ist, dass offensichtlich der Urheber es nicht wichtig fand, dass jemand, der nicht zur Szene gehört, es lesen können muss. Schon allein aus der Art der Darstellung sieht man, dass von Writern eine deutliche Abgrenzung nach außen gewünscht ist. Die am häufigsten gestellte Frage zum Thema Styles ist: Warum machen die das? Ich darf dies anhand von Abbildung 2 erklären. Oben im Bild sieht man, direkt an der Bahnlinie, verschiedene Schriftbilder von Sprayern. Darunter hat die Firma »Schaffrath« ihren Namenszug positioniert. Das Ziel beider Schriftenanbringer ist ähnlich, nur die Zielgruppe ist eine andere. Writer wollen ihre kleine abgekapselte Szene erreichen; deswegen ist von ihnen eine Typografie gewählt worden, die vor allem von Insidern, genauer Outsidern, gelesen werden kann. Die Firma »Schaffrath« will die Allgemeinheit erreichendaher wurden allgemein bekannte Buchstaben für die Schrift gewählt. Im Prinzip aber ist das, was hier gemacht wird, von der Schriftgröße, von der Art der Präsentation genau das Gleiche. Es handelt sich in beiden Fällen schlicht um Werbung. Der Grundgedanke, die Hauptmotivation, warum Graffiti überhaupt gemacht werden, ist Werbung für sich selbst zu machen. Ziel ist es deshalb auch, den Writingname so weit wie möglich bekannt zu machen...