In der alttestamentlichen Wissenschaft gibt es eine seit langem währende Debatte über die Rezeption altorientalischer Vorstellungen in der biblischen Urgeschichte 1 . In ihrem Verlauf hat sich ein weitgehender Konsens darüber herausgebildet, dass es sich bei den aus mesopotamischen Schöpfungsmythen bekannten Inhalten in Genesis 1-11 um keine genuin israeliti schen Traditionen handelt. Weitaus weniger sicher ist sich die Forschung, wenn es darum geht, die aufgenommenen Traditionen zu identifizieren, die Rezeptionswege zu beschreiben und die Absichten zu eruieren, mit denen die biblischen Autoren ihnen vermeintlich fremde Vorstellungsgehalte aufgenommen haben. Im Folgenden geht es unter der Fragestellung, ob sich im priesterlichen Schöp fungsbericht eine oft behauptete antibabylonische Propaganda feststellen lässt, um den letztgenannten Aspekt. Ein knapper Blick in die Forschungsgeschichte zeigt frei lich, wie untrennbar alle drei zusammen gehören.
I. Schöpfung und ChaosIn seiner erstmals 1894 erschienenen Arbeit »Schöpfung und Chaos« beansprucht Hermann Gunkel, den im weiteren Sinne babylonischen Ursprung des priesterlichen Schöpfungsbe richts nachgewiesen zu haben. Darüber hinaus habe er »überall daneben erörtert, in welcher eigentümlichen Weise der über-nommene Stoff in Israel aufgefasst und umgebildet [worden] sei« 2 . In der Durch-1 Das Verhältnis der biblischen Urgeschichte zu den Texten und Vorstellungen des alten Vorderen Orients wurde schon in der Antike diskutiert. Den Beginn der wissenschaftlichen Debatte markiert die Erst publikation der elften Tafel des Gilgamesch-Epos
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