Zusammenfassung: Mit der noch neuen Rechtsinstitution Patientenverfügung steht Bürger/innen die Möglichkeit offen, für eine antizipierte letzte Behandlungssituation festzulegen, welche Handlungen vom medizinischen Personal ausgeführt werden dürfen und welche nicht. Im vorliegenden Beitrag wird auf der Basis einer fallanalytischen Studie zum Thema gefragt, welche individuellen Relevanzhorizonte damit angesprochen werden und welche Folgen diese neue Option haben könnte. Dazu wird zuerst an einige zentrale Argumente erinnert, die im Zuge der Gesetzeseinführung den medialen Diskurs beherrschten und intersubjektiv teilbare Imaginationen der (eigenen) letzten medizinischen Behandlung als größte persönliche Katastrophe etablierten. Die biographische Voraussicht auf ein als Katastrophe konzipiertes Lebensende war bei den im Projekt geführten Gruppendiskussionen zum Thema Patientenverfügung dann auch der vorrangige gemeinsame Deutungshintergrund. Es scheint notwendig zu sein, eine Patientenverfügung möglichst schnell zu verfassen, da die letzte Behandlungssituation als permanent drohendes Risiko wahrgenommen wird. Mittels der Rekonstruktion von Gruppendiskussionen wird die spezifische Prospektivität der Patientenverfügung (an Schütz anschließend) und deren Bedeutung für die Subjekte verdeutlicht: Ich lege fest, "wie mit mir umzugehen ist", und stabilisiere damit meine Situation im Hier und Jetzt. Dabei lassen sich vier typische Formen des Umgangs mit Patientenverfügungen unterscheiden: radikale Fiktion, bürokratische Versicherung, reflexive Skepsis und souveräne Verweigerung. Dabei wird deutlich, dass die Nutzung der Patientenverfügung relativ wenig über die Relevanz -und den Grad der Reflexion -des eigenen Sterbens und den Tod als individuelle Perspektive der Zukunft verrät. Sie ist eher als Zeichen eines insgesamt hohen Absicherungsbedürfnisses und voluntaristischer Selbstbestimmungsvorstellungen (auch für einen Zustand eigener Mitteilungsunfähigkeit) zu verstehen. Es wird biographische Sicherheit gesucht, indem eine imaginierte dramatische (finale) Behandlungssituation durch die parafierte Festlegung des eigenen Ablebens kontrolliert werden soll.
Einleitung: Zur Relevanz von Planungen der "letzten medizinischen Behandlung"Es ist überraschend, wie wenig sich die Soziologie mit der Praxis der Patientenverfügung beschäftigt. 1 Spätestens seitdem 2009 das Dritte Betreuungsrechtsänderungsgesetz (auch "Patientenverfügungsgesetz") verabschiedet wurde, wird das Abfassen einer Patientenverfü-
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