Gibt es Kriterien der Beurteilung literaturwissenschaftlicher Interpretationen, die von Vertretern unterschiedlicher Theorien akzeptiert werden? Diese Frage nach theorieübergreifenden Standards literaturwissenschaftlicher Praxis ist immer wieder einmal gestellt worden, ohne dass eine konsensuelle Antwort gefunden worden wäre. In der deutschsprachigen Diskussion sind in den letzten Jahren drei Kandidaten für ein solches Kriterium vorgeschlagen worden: die viel diskutierte Wahrheit, 1 die praktische Rationalität der zugrunde liegenden Interpretationshandlungen 2 sowie allgemeine wissenschaftstheoretische Standards. 3 In einem Vergleich dieser Vorschläge wurde gezeigt, dass esneben anderen Problemeninsbesondere die fehlende disziplinäre Akzeptanz ist, an der die Kriterien scheitern: Es ist nicht anzunehmen, dass sich Vertreter unterschiedlicher Interpretationstheorien auf die Anwendung dieser Beurteilungskriterien einigen. 4 Das gilt vor allem für den Wahrheitsbegriff; Aussagen wie ‚Das ist eine wahre Interpretation' finden sich höchst selten, nur wenig häufiger ‚Die Interpretation ist richtig'. 5 Vorherrschend in Beurteilungen von Interpretationen sind dagegen andere Ausdrücke: Interpretationen sind "interessant", "anregend", "überzeugend" oder
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