Bereits zu Schulbeginn verfügen Kinder über individuelle Lernvoraussetzungen, auf die sie im Unterricht zurückgreifen können. Im Kontext des Lese-und Literaturunterrichts gehen diese auf unterschiedliche Vorerfahrungen und Vorlieben im Umgang mit Texten und Medien zurück. Viele Kinder machen erste literarische Erfahrungen noch immer über Kinderreime und Lieder, in Erzähl-und Vorlesesituationen und beim Besuch von Puppentheatern. Sie begegnen Literarisch-Ästhetischem jedoch auch über Kinderhö rspiele, Filme, Fernsehserien und zunehmend ü ber die Nutzung digitaler und vernetzter Endgeräte beim Aufrufen interaktiver Homepages, beim Spielen am Computer und dem Gebrauch von Apps am Tablet-PC. Die Vielfältigkeit medialer Artikulationsformen von Literatur hat in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt stetig zugenommen und damit auch die medienbezogenen Nutzungsvorlieben der Kinder. Bü cher sind für Sechs-bis 13-Jährige nach wie vor ein beliebter Beschäftigungsgegenstand. Knapp jedes zweite Kind (47 %) ist am Thema »Bü cher und Lesen« interessiert. 52 Prozent der Kinder lesen gerne oder sehr gerne. Dabei ist jedoch für dreimal so viele Mädchen wie Jungen das Lesen, insbesondere das Lesen literarischer Texte, eine beliebte Freizeitaktivität (KIM 2016, S. 21 ff.). Der Vorsprung der Mädchen gegenüber den Jungen bei literarischen und kontinuierlichen Texten schmilzt jedoch, wenn es um das Erlesen nicht-linearer Texte geht, »also Textstrukturen, wie sie in multimedialen Umgebungen vorzufinden sind« (Schönleber 2005, S. 64). Wie sollte ein Lerngegenstand im Lese-und Literaturunterricht demnach gestaltet sein, der Anknüpfungspunkte an unterschiedliche individuelle Lernvoraussetzungen von Mädchen und Jungen bietet, ihre medialen Vorlieben aufgreift und neue Interessen weckt, sich positiv auf lese-und medienbezogene Selbstkonzepte auswirkt und den Kompetenzerwerb im Umgang mit Texten und analogen und digitalen Medien stärkt? Welche Methoden sollten im Lese-und Literaturunterricht zum Einsatz kommen, wie sollten Materialien gestaltet werden und wie kann das besondere Potential digitaler Medien dabei genutzt werden, um sprachliche und literarische Lernprozesse anzustoßen?
Der Beitrag geht der Frage nach, wie Lehr- und Lernprozesse im Lese- und Literaturunterricht der Grundschule in der digitalen Welt gestaltet werden müssen, damit Kinder mit heterogenen Lernvoraussetzungen sich in gemeinschaftliche Aushandlungsprozesse einbringen, individuelle Lernfortschritte machen und relevante Kompetenzen erwerben können (Hauck-Thum 2021, 77). Vorgestellt werden vorläufige qualitative Ergebnisse des Forschungsprojekts Digitale Chancengerechtigkeit (DCG), das den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Lese- und Literaturunterricht unter den Bedingungen der Kultur der Digitalität untersucht. In den Blick genommen werden Gesprächsrunden zwischen Lernenden aus dritten Klassen während der Auseinandersetzung mit Büchern und multimodalen Texten auf Basis des Buchs «Die Olchis sind da» von Erhardt Dietl. Als Gesprächsanlässe dienen Herausforderungen, die von den Kindern gemeinsam gelöst und medial umgesetzt werden. Erste Auswertungen deuten an, dass Kleingruppengespräche über Literatur allen Kindern Teilhabe ermöglichen, wenn sie herausfordernd sind, an informell erworbene (digitale) Wissensbestände anknüpfen und subjektive Lesarten zulassen. Ein entsprechender Lese- und Literaturunterricht, der individuelle Kenntnisse, Belange, Ideen und Fantasien von Kindern berücksichtigt und fördert sowie sie zu gemeinschaftlichen Reflexionsprozessen anregt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass alle Kinder die ihnen gebotenen Lerngelegenheiten zum Kompetenzerwerb nutzen können (Giesinger 2007, 364). Dadurch leistet die Grundschule einen wichtigen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit und bereitet Kinder darauf vor, aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gemeinschaftlich zu begegnen.
PädagogikZeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung MedienThemenheft Nr. 52: Gerecht, digital, nachhaltig! Interdisziplinäre Perspektiven auf Lehr-und Lernprozesse in der digitalen Welt.
Lehrer*innenbildung an Hochschulen findet aktuell im digitalen Raum statt, da Lehrangebote pandemie-bedingt nicht länger ortsgebunden ausgebracht werden können. Die größten Herausforderungen für Studierende ergeben sich dabei in erster Linie aus der Nutzung digitaler Angebotsstrukturen. Unter Digitalisierung wird in der Breite nach wie vor die Verwendung online-basierter (Lern-)Plattformen zur Verteilung von Materialien verstanden, die ihre ursprüngliche Struktur und die damit verbundenen Aufgabenformate auch in digitaler Form beibehalten. Außer Acht gelassen werden dabei oft einschneidende kulturelle Veränderungsprozesse und das damit einhergehende Verständnis einer neuen Lehr- und Lernkultur, das bereits während des Studiums angebahnt werden sollte, um überfällige Transformationsprozesseim Bildungssystem endlich flächendeckend anzustoßen. Damit Lehrer*innenbildung dementsprechend anschlussfähig bleibt, bedarf es einer grundsätzlichen Umorientierung, damit relevante Fragestellungen im Rahmen von Seminaren partizipativ umgesetzt und kooperativ bearbeitet werden können. Der Beitrag veranschaulicht anhand eines universitären Seminarkonzeptes im Lehramtsstudium an Grundschulen, wie Studierende vielfältige Erfahrungen mit veränderten Lehr- und Lernprozessen gemäß der Kultur der Digitalität machen können, indem sie aktiv an gemeinschaftlichenGestaltungsprozessen partizipieren.
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