Nach mehr als dreißig Jahren begriffsgeschichtlicher Forschung in den Geistesund Geschichtswissenschaften und dem Abschluss eindrucksvoller Großfor-schungs-und Editionsprojekte zur Geschichte des politisch-sozialen Sprachgebrauchs in Deutschland wie den "Geschichtlichen Grundbegriffen" (Brunner/ Conze/Koselleck 1972-1997, dem "Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich" (Reichardt/Schmitt 1985-2000, dem "Historischen Wörterbuch der Philosophie" (Ritter/Gründer/Gabriel 1971-2005) und den "Ästhetischen Grundbegriffen" (Barck et al. 2000(Barck et al. -2005 -um nur die prominentesten zu nennen -fällt ein eigentümliches Versäumnis auf: Die Zeitgeschichte spielt hier kaum eine Rolle. Mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts, dem Zeitalter der politischen Extreme, der wirtschaftlich-industriellen Hochmoderne seit 1890 und der Gegenwartsgeschichte seit dem jüngsten Jahrhundertwechsel fehlt in der semantischen Grundlagenforschung damit der Gegenstandsbereich der Geschichtswissenschaften, der in den vergangenen Jahren einen enormen Boom im akademischen und öffentlichen Feld erfahren hat.Eine umfassende Erschließung der politisch-gesellschaftlichen Sprachen und Sprechweisen des vergangenen Jahrhunderts und ihres Wandels steht also noch aus. Doch erscheint eine Dechiffrierung seiner kennzeichnenden Signaturen als Beitrag zur Historisierung des 20. Jahrhunderts besonders vielversprechend. Wie wäre ein Forschungsvorhaben anzulegen, das zu einer systematischen Erschließung und Dokumentation beiträgt? Die folgenden Überlegungen entstanden auf der Grundlage unserer laufenden empirischen Untersuchungen spezieller Semantiken des 20. Jahrhunderts, 1 um die theoretischen und methodischen Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen einer übergreifenden zeitgeschichtlichen Semantik zu diskutieren. Wir möchten eine geschichtswissenschaftliche Debatte weiterführen, die wir am Zentrum für Zeithistorische || 1 Kathrin Kollmeier untersucht Semantiken (und Praktiken) der Zugehörigkeit am Beispiel der Staatenlosigkeit, einem neuartigen Rechtsstatus im 20. Jahrhundert; Achim Saupe beschäftigt sich einerseits mit dem Aufstieg des Authentizitätsbegriffs im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts sowie andererseits mit den Semantiken von Ordnung, Sicherheit, Freiheit und Risiko anhand der beiden politischen Streitbegriffe "innere Sicherheit" und "Law and Order" im bundesdeutsch-britischen Vergleich.