Viele Migrantinnen und Migranten sind gegenüber der Mehrheitsbevölkerung des Landes, in das sie migriert sind, sozial und ökonomisch benachteiligt. Aus nicht migrierten Bevölkerungsgruppen ist bekannt, dass ein niedriger sozio ökonomischer Status das Risiko für Erkrankung und vorzeitigen Tod erhöht. Dennoch weisen erwachsene Migrantinnen und Migranten aus vielen Herkunftsländern in europäischen Ländern und den USA eine vergleichsweise niedrige Mortalität auf. Der Vorteil hinsichtlich der Sterblichkeit relativ zur Allgemeinbevölkerung des Ziellandes der Migration kann in bestimmten Altersgruppen bis zu 50 % betragen (Razum 2006; Razum & Twardella 2002). Dieser Mortalitätsvorteil der Migranten wird in der Literatur als Healthy-migrant-Effekt bezeichnet, frei übersetzt das "Phä-nomen des gesunden Migranten". Angesichts der erwähnten inversen Assoziation zwischen sozioökonomischem Status und Mortalität stellt der Healthy-migrant-Effekt ein Paradox dar (Razum 2006). Der Umgang mit diesem Paradox wie auch die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Migration und Gesundheit wird durch das Fehlen explizit formulierter Erklärungs-modelle erschwert. Determinanten von Krankheit und Gesundheit bei Migrantinnen und Migranten werden häufi g nicht benannt, was ihre systematische Untersuchung erschwert. Liane Schenk stellt im vorliegenden Heft ein Erklärungsmodell vor und leistet damit einen Beitrag zu einem besseren Verständnis solcher Determinanten (Schenk 2007). Sie kommt damit dem zunehmenden Interesse der Epidemiologie entgegen, Migrantinnen und Migranten in epidemiologische Studien einzubinden (Zeeb & Razum 2006). Bereits ohne die Berücksichtigung des Migrationsstatus ist der Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit komplex. Offensichtlich ist, dass es Faktoren geben muss, welche zwischen sozialer Ungleichheit (also der Makroebene) und schlechter Gesundheit (also der Mikro ebene) vermitteln. Steinkamp postulierte 1993 eine "Mesoebene", die materielle und soziale Lebensbedingungen umfasst (Steinkamp 1993). Nur ein Teil der hier angesiedelten Faktoren ist bekannt. Oft handelt es sich um komplexe Variablen wie z. B. "soziale Unterstützung". Soziale Unterstützung gilt als wichtig für die Erklärung des Gesundheitszustands. Der Sozialepidemiologe Andreas Mielck kritisiert aber, dass es weitgehend ungeklärt ist, welche Rolle sie zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit leisten kann (Mielck 2005). Dennoch wird soziale Unterstützung immer wieder als adhoc-Erklärung eingesetzt. Ihre salutogenetische Wirkung soll beispielsweise einen Teil der gesundheitlichen Vorteile von Migrantinnen und Migranten erklären. Ein praxisrelevantes Erklärungsmodell darf also seinen Schwerpunkt nicht nur auf Faktoren legen, die einen schlechteren Gesundheitszustand bedingen, sondern muss auch migrantenspezifi sche gesundheitliche Ressourcen und protektive Faktoren beinhalten. Jedes migrantenspezifi sche Erklärungsmodell wird naturgemäß auch unter den Problemen leiden, die für die allgemeinen Modelle zur Erklärung des Zusammenhangs zw...