Seit der Einführung des ersten dokumentierten Forschungsprojekts (Dendral, 1965) zur rechnergestützten organischen Synthese ist ein halbes Jahrhundert vergangen. In den 1970er und 1980er Jahren wurden viele weitere Programme entwickelt, doch bis zu den 2000er Jahren war der Enthusiasmus dieser Pionierzeit weitgehend verschwunden, und wegen der schwierigen Aufgabe, die Planung organischer Synthesen in Computer einzugeben, erhielt sie den Ruf einer “Mission impossible”. Das ist recht merkwürdig angesichts der Tatsache, dass Computer in der Zwischenzeit viele andere Fähigkeiten “gelernt” haben, die als alleinige Domänen von Intellekt und Kreativität des Menschen betrachtet wurden – so können Rechner heutzutage besser Schach spielen als menschliche Weltmeister, und sie können klassische Musik komponieren, die für das menschliche Ohr angenehm ist. In der organischen Synthese hat es zwar keine vergleichbaren Leistungen gegeben, aber dieser Aufsatz behauptet, dass es verfrüht wäre, eine Niederlage einzugestehen. Tatsächlich kann dem Computer schließlich “beigebracht” werden, die Synthesen von komplizierten organischen Verbindungen in Sekunden‐ bis Minutenschnelle zu planen, indem die Kombination aus moderner Rechenleistung und Algorithmen aus der Graphen‐/Netzwerktheorie zusammengeführt wird mit in geeigneten Formaten codierten chemischen Regeln (mit vollständiger Stereo‐ und Regiochemie) und Elementen der Quantenmechanik. Der Aufsatz beginnt mit einem Überblick über theoretische Grundkonzepte, die essenziell sind für die Analyse der großen Datenmengen chemischer Synthesen. Im Anschluss daran wird auf die Optimierung von Synthesewegen unter Einbeziehung bekannter Reaktionen eingegangen. Einen Schwerpunkt bildet die anschließende Besprechung der Algorithmen, die eine vollständig neue und automatisierte Planung der Synthesen für komplizierte Zielverbindungen ermöglichen, darunter auch solche, die noch nicht hergestellt wurden. Es gibt natürlich noch Verbesserungsmöglichkeiten, letztendlich aber werden Computer für die praktische Planung der organischen Synthese wichtig und hilfreich sein. Churchills berühmte Worte nach dem ersten wichtigen Sieg der Alliierten über die Achsenmächte paraphrasierend, ist es für die computergestützte Syntheseplanung nicht das Ende, nicht einmal der Anfang vom Ende, sondern das Ende vom Anfang. Der Computer ist da und wird bleiben.