Das Leitsymptom Schwindel als Ausdruck einer Gleichgewichtsstörung ist nach Unfällen das am häufigsten fehlgedeutete klinische Symptom im Behandlungsprozess [15, 32]. Wenn Patienten nach Unfällen [Schädel-Hirn-Trauma (SHT), Kopfanpralltrauma u. a.) angeben, "dass ihnen schwindelig sei", führt dies zumeist seitens der ärztlichen und nichtärztlichen Behandler zu pseudorationalen Erklä-rungen (z. B. "gehört immer zur Commotio cerebri dazu") oder zu psychologisierenden Deutungen (z. B. "das ist der Schreck, das vergeht schon") [16].Die wenigsten Patienten geben den Schwindel innerhalb der ersten 72 h nach dem Ereignis an (da das Gefühl der kör-perlichen Unversehrtheit -oder des Überlebens -nach schwereren Unfällen im Vordergrund stehen), sie werden aber zumeist auch nicht gefragt, da die (chirurgischen, unfallchirurgischen) Erstbehandler sich zumeist an harten Organbefunden (besser: bildgebenden Befunden) orientieren [24,25,26].Damit ist das Dilemma der Patienten einerseits (ihre Beschwerden werden selten thematisiert, sie selbst bringen sie aufgrund internalisierter Fehldeutungens. oben -erst dann zur Sprache, wenn ihr normaler Berufs-und Lebensalltag nicht mehr wie gewohnt möglich ist) und der Behandler andererseits (Zuständig-keit, Einordnung, Einleitung angemessener diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen) grob umrissen [10]. Die erst nach Abschluss der Akutbehandlung auftretende Situation der ärztlichen Begutachtung posttraumatischer Gleichgewichtsstörungen stellt sich diesbezüglich noch komplexer dar, da die ärztliche Dokumentation in den meisten Fällen unzureichend über diese Veränderungen Aufschluss gibt und nach ihnen auch zu selten gezielt gefahndet wird [5,21,37].Ziel der vorliegenden Arbeit war es, anhand einer größeren Serie berufsgenossenschaftlich verunfallter Patienten mit nachgewiesenen posttraumatischen Gleichgewichtsstörungen die derzeitigen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zu charakterisieren, mit denen die meisten Patienten mit guter Prognose behandelbar sind. Zudem wird auf die im Heilverfahren möglichen Steuerungsmöglichkeiten ("yellow or red flags") eingegangen [29], die aktiv genutzt werden sollten, um die betreffenden Patienten einer angemessen Therapie [mit allen geeigneten Mitteln nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) VII] zuzuführen [38], denn nur so kann dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz (Reha vor Rente) in diesem Spezialgebiet auch wirklich zur Geltung verholfen werden [27].
Material und MethodenIn einer retrospektiven Untersuchung wurden die berufsgenossenschaftlich verunfallten und an einer posttraumatischen Gleichgewichtsstörung leidenden Patienten untersucht, die im Zeitraum vom 01.01.2005-01.12.2008 in der HNO-Klinik des ukb (Unfallkrankenhaus Berlin) stationär behandelt worden waren.Insgesamt handelte es sich um 94 Patienten (59 männlich, 35 weiblich) mit einem Durchschnittsalter von 44,1 Jahren. Davon litten 16 an einer begleitenden Hörstörung (kochleovestibulare Störung), wie in einem weiteren Beitrag ausführlich dargestellt [20].Die Patienten wurden zumeis...