Die supramolekulare Chemie ist ein Gebiet, das die Beziehung zwischen molekularer Struktur und molekularer Funktion erforscht. Es ist die Chemie der nichtkovalenten Bindung, die die Grundlage der spezifischen Erkennung und der Transport‐ und Regulationsvorgänge bildet, die biologische Vorgänge antreiben. Die klassischen Konstruktionsprinzipien der supramolekularen Chemie umfassen starke, gerichtete Wechselwirkungen wie Wasserstoffbrücken, Halogenbrücken und Kation‐π‐Komplexbildung, aber auch weniger gerichtete Kräfte wie Ionenpaarung, π‐π‐, solvophobe und Van‐der‐Waals‐Wechselwirkungen. In den letzten Jahren wurde auch die Anion‐π‐Wechselwirkung (eine anziehende Kraft zwischen einem elektronenarmen aromatischen System und einem Anion) als bis dahin unerforschte nichtkovalente Bindung erkannt, und ihre Natur wurde experimentell und theoretisch untersucht. Die Konstruktion selektiver Anionenrezeptoren und ‐kanäle auf der Grundlage dieser Wechselwirkung war ein wichtiger Fortschritt auf dem Gebiet der supramolekularen Chemie. Ziele dieses Aufsatzes sind: 1) aktuelle Vorstellungen über die Natur dieser Wechselwirkung zu diskutieren, 2) eine Übersicht über die wichtigsten experimentellen Arbeiten zu geben, in denen Anion‐π‐Bindung nachgewiesen wurden, und 3) Einblicke in die Richtungsabhängigkeit von Anion‐π‐Kontakten in Kristallstrukturen zu geben.