Anmerkungen zur weiblichen Perversion"Nach vielen harten Ehejahren … kam Erika damals auf die Welt. Sofort gab der Vater den Stab an seine Tochter weiter und trat ab. Erika trat auf, der Vater ab", so eröffnet Elfriede Jelinek (1988, S. 5) in lakonischem Ton ihren Roman Die Klavierspielerin, der 2001 von Michael Haneke verfilmt wurde. Szenen der Gewalt Seit sie das Licht der Welt erblickt hat, lebt die nunmehr 36-jährige Erika Kohut mit ihrer Mutter in einer Wohnung und teilt mit ihr das vom Vater kurz nach ihrer Geburt verlassene Ehebett. Dieser wurde von der Mutter in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, das er, geistig umnachtet, nicht mehr verlässt, bis er stirbt. Fortan leben Mutter und Tochter allein. Erika ist dem Ehrgeiz ihrer herrschsüchtigen Mutter ungeschützt ausgesetzt, deren Traum sie erfüllen soll: als Konzertpianistin ihr jenen Glanz zu verleihen, auf den diese ein Leben lang gewartet hat. Erika wird gedrillt und auf Schritt und Tritt in enger Umklammerung von der Mutter überwacht und kontrolliert. Kein Leben außerhalb der eigenen vier Wände, keine Freundinnen oder Schulkameraden sollen Erika in ihrer Entwicklung zum Wunderkind stören. Hochmütig sondert die Mutter ihre Tochter gegenüber all den sie umgebenden gewöhnlichen Menschen ab. Doch trotz aller Anstrengung reicht Erikas Begabung zur Konzertpianistin nicht aus. Die Mutter ist enttäuscht. Erika, die nun als Klavierlehrerin am Wiener Konservatorium junge Schüler -eifersüchtig auf ihr Talent -traktiert, quält diese, wie sie selbst einst zugerichtet wurde. Von der Mutter kann sie sich nicht lösen, bleibt in Hassliebe an sie gebunden; engmaschig lässt sie sich von ihr kontrollieren, wenn sie abends nach Hause kommt, ihre Taschen untersuchen. Geld soll sie sparen für eine Eigentumswohnung, in die die Mutter mit ihr ziehen will. Ihre gering bemessene Freizeit verbringt sie mit ihr vor dem Fernsehapparat; nur manchmal gehen sie gemeinsam aus und besuchen ein Konzert. Erika stiehlt sich nicht nur Zeit, zwischen dem täglichen Klavierunterricht und der Ankunft zu Hause, sondern manchmal auch kleine nutzlose Dinge, die sie danach wegwirft. In den dem mütter-lichen Zeitmanagement entzogenen Stunden tut sie Verbotenes: Sie besucht Peepshows, wo sie in den Kabinen, beim Betrachten von Pornos, an den von Vorgän-gern hinterlassenen ejakulatdurchtränk-ten Taschentüchern schnüffelt, oder beobachtet heimlich Liebespaare beim Koitus im Auto. Zuhause angekommen lässt sie die Schimpfkanonaden der Mutter wegen ihrer Verspätungen über sich ergehen, bevor sie sich ins Badezimmer zurückzieht: Mit Rasierklinge und Rasierspiegel steigt sie in die leere Badewanne. "Sie öffnet den Morgenrock, den sie trägt, setzt sich auf den Wannenrand und hält den Rasierspiegel so, dass sie darin ihr Geschlechtsteil sehen kann. Dann nähert sie die Hand mit der Rasierklinge ihrer Scham … Die roten Tropfen, die auf das weiße Emaille der Wanne niederspritzen, vereinigen sich schließlich zu einem kleinen Bach, der Richtung Abfluss läuft" (Haneke 2001, S. 58). Blutend steigt sie i...