1996 war die Welt noch in Ordnung. In einem Artikel mit dem Titel »Mythos Netz« fasste das Nachrichtenmagazin Der Spiegel die optimistischen Szenarien, naiven Hoffnungen und raunenden Befürchtungen zusammen, die sich an die nunmehr in den (bundesdeutschen) Mainstream eindringende »weltweite Datenverbindung Internet« 2 knüpften -um zu resümieren, dass trotzdem alles irgendwie beim Alten bleiben werde, denn nur eine nerdige Minderheit habe doch überhaupt Lust, sich »auf den elektronischen Straßen« zu »tummeln«. 3 Wollen sich Nutzer*innen wirklich individuelle Newsfeeds und Unterhaltungsprogramme aus einem »Online-Angebot« zusammenstellen, also beispielsweise den Spiegel »am Schirm lesen«? 4 Rolf S. Müller, der Autor des Artikels, zeigt sich skeptisch. Er verweist dabei auf Autoritäten wie den »Freizeitforscher Horst W. Opaschowski«, der »Multimedia« für einen kurzlebigen Trend hält und darauf setzt, dass sich »Verbraucher« weiterhin vor dem Fernseher »passiv berieseln« 5 lassen möchten. Zu Wort kommt auch ein »Josef Schäfer, Bereichsleiter für Multimedia beim Essener RWE-Konzern«, der »Multimedia« zwar als »interessante[n] Markt« betrachtet, aber nicht glaubt, dass »der Kunde« [sic!] auch bereit sei, »Geld dafür zu zahlen«. 6 Dass das »Online-Angebot« dereinst nicht nur zu einem Wirtschaftsfaktor, sondern überhaupt zur medialen, ökonomischen, ja epistemischen Dominante im Leben der meisten Menschen werden könnte, gehört in diesem journalistischen Zeitzeugnis nicht zum Horizont des Vorstellbaren. Hier wird noch nicht antizipiert, was heute längst als »Disintermediation« Tatsache ist: So nennt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen den Bedeutungsverlust der »Gatekeeper alten Typs, […] [der] Wächter am Tor zur öffentlichen Welt in Gestalt von Journa-1 Zit. nach einem Interview vom 17.06.1997: https://www.heise.de/tp/features/Der- Medienrauschfindet-nicht-statt-3411040.html (27.11.2020).2 https://www.spiegel. de/spiegel/spiegelspecial/d-8889468.html (27.11.2020).3 Ebd.4 Ebd.
Der Beitrag widmet sich Kafkas literarisch produktiver Rezeption Søren Kierkegaards, die bis jetzt kaum im Fokus der Forschung stand. Anstatt etwa Kafkas biographisch‐identifikatorischen Zugang zu Kierkegaards Schriften zu diskutieren, der relativ gut erforscht ist, wird ein dezidiert poetologischer Zugriff vorgeschlagen. Eine transtextuelle Relektüre des Proceß‐Fragments im Sinn eines gescheiterten „Prozesses“ der Selbstwerdung erlaubt, verschiedene Verfahren zu identifizieren, die Kafka in der Transformation und Adaptation der Texte, der Begrifflichkeit und der Konzepte Kierkegaards anwendet. Die Verhaltensweisen der Figur K. werden mit der Verzweiflung im Sinne Kierkegaards abgeglichen; eine solche Lesart wendet sich nicht zuletzt gegen die religionsphilosophischen Deutungen, die eine Mehrzahl der Interpretationen mit Kierkegaard ausmachen. Die Verweise auf Kierkegaard ließen sich, schematisch ausgedrückt, in zwei Modalitäten einordnen: Zitat und Parodie. Der Aufsatz versteht sich so auch als Forschungsbeitrag zur Rezeption Kierkegaards in der Literatur allgemein, die erst im Ansatz untersucht worden ist.
Dieser Aufsatz befasst sich mit der Altersdarstellung in zwei beispielhaften Generationenromanen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Clemens Setz’ Die Frequenzen (2009) und Tilman Rammstedts Der Kaiser von China (2008). Drei Aspekte stehen im Zentrum der Analyse: Erstens ist in Einklang mit der soziologischen Forschung zu beobachten, dass Alter in der Gegenwartsliteratur nicht als bloße biologische Tatsache, sondern als soziale Leistung begriffen wird. Je nachdem, ob und wie gut diese Leistung erbracht wird, entwirft die Gegenwartsliteratur Bilder eines „guten“ und „schlechten“ Alter(n)s. Um die Problemstellung adäquat zu erfassen, werden zweitens spezifische diskurs‐ und wissensgeschichtliche Kontexte fruchtbar gemacht, denn Alter wird etwa in Abhängigkeit von Gender unterschiedlich funktionalisiert. Der Fokus unserer Untersuchung liegt auf „männlichen“ Alterungsprozessen, deren Prekarität in der Forschung zu aktuellen Generationenromanen noch kaum registriert wurde. Drittens zeigt die vorliegende Arbeit, dass das Alter mit gattungsspezifischen Schreibverfahren des Generationenromans der Gegenwartsliteratur assoziiert ist, insbesondere mit der „therapeutischen“ Narrativierung der Familiengeschichte.
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