Mir ist die ehrenvolle, aber schwere Aufgabe zugefallen, das wissenschaftliche Werk von Hans Meerwein zu um-reiBen. Ich stiitze mich dabei auf die ca. 70 Publikationen, die er im Laufe von 63 Jahrenvon 1903 bis 1965herausgebracht hat, sowie auf ein von ihm selbst wohl im letzten Jahr verfaljtes Manuskript, das im Wortlaut in den ,,Chemischen Berichten" erscheinen wird. Ich bin zwar kein Meerwein-Schiiler, habe aber 5 Jahre langvon 1932 bis 1937 ~ in seinem Institut als Oberassistent gearbeitet und sein Wirken in dieser Zeit aus der Nahe beobachten konnen. Zieht man von den erwahnten 70 Publikationen einige wenige Kurzmitteilungen, einige zusammenfassende Darstellungen sowie diejenigen Arbeiten ab, die abseits der groBen Linien stehen, so bleiben etwa 35 wichtige und grundlegende Veroffentlichungen iibrig. Jede von ihnen wiirde einen eigenen Vortrag rechtfertigen. Ich muR mich daher auf ganz wenige beschranken. Es liegt nahe, zunachst nach den Quellen fur Meerweins Schaffen zu suchen. Meist ist es bei Wissenschaftlern der Lehrer, der die entscheidenden Impulse gibt. Meerwein jedoch trat nicht in die FuSstapfen seines Lehrers Schroeter. Meerwein schuf aus sich selbst heraus. Naturlich waren die Zeit, in der er lebte, und die Menschen, denen er begegnete, von starkem EinfluB auf sein Werden. Man kann, da er sich dariiber auch in seinen Aufzeichnungen nicht auBert, nur verrnuten, daB Anschiitz in Bonn, Claisen in Godesberg, Bredt in Aachen sowie Werner und Pfeiffer vor allem diejenigen gewesen sind, die durch ihre Personlichkeit oder durch ihre Schriften den groBten Einflulj ausgeubt haben. Viele Chemikerund nicht nur die schlechtenlassen sich in ihrer Arbeit vom Experiment leiten. Sie machen Beobachtungen, gehen diesen nach und versuchen sie zu erklaren. Erklarungsversuche regen zu neuen Experimenten an und fiihren zu neuen Beobachtungen. Anders bei Meerwein. Bei ihm steht am Anfang die 0 berlegung, das Postulat, die Theorie. Diese lassen ihn bestimmte Voraussagen machen. Das Experiment dient dam, diese Voraussagen zu bestatigenund es hat diese Voraussagen fast immer bestatigt. Wie oft liest man daher in seinen Publikationen: ,,Das Ergebnis war wie erwartet". So sind die Entdeckungen Meerweins zum weitaus groljten Teil keine Zufallsentdeckungen, sondern logisches Ergebnis seiner Gedanken. Nur dieTrialkyIoxoniumsaIze fielen ihm bei einem Experiment unerwartet ZU. Doch kann man sicher sein, dalj er sie auch ohne diesen ,,Zufall" wenig spater durch iiberlegte und geplante Versuche gefunden hatte. Lassen Sie mich nun an einigen Beispielen die Arbeitsweise, die Gedankengange und die Resultate der Arbeiten Meerweins erlautern. Ich beginne mit einem Gebiet aus Meerweins jiingeren Jahren, namlich dem der Michael-Additionen und Esterkondensationen; es ist, weil bereits 1922 abgeschlossen, vielleicht weniger bekannt. Die Untersuchungen fiihrten zu einer allgemeinen Darstellungsmethode fur 1,5-Dialdehyde und 1,5-Ketoaldehyde und gipfelten schlieBlich in einer einfachen Zweistufensynthese des Bicyclo[3.3.l]nonansysterns aus For...