Zusammenfassung
Sowohl die frühe phylogenetische und ontogenetische Existenz von cholinergen Systemen, als auch das Vorkommen in nicht‐neuronalen Geweben legen cholinerge und nicht‐cholinerge Funktionalitäten nahe, die weit über deren klassische Funktion an Synapsen hinausgehen. Die Fähigkeit von Cholinesterasen zur Bildung riesiger Proteinkomplexe eröffneten ihnen vielseitige Funktionsfelder. Schon in Stammzellen vertreten, begünstigen Cholinesterasen im Verbund mit Komponenten der Zellmatrix die Zelldifferenzierung; dabei erscheint ihre Enzymaktivität (teilweise) als nicht notwendig. Dies wurde durch Effekte inaktiver AChE in nicht‐neuronalen Zellen einerseits, und davon unabhängig durch die Entdeckung der CLAM‐Proteinfamilie beeindruckend untermauert. Vieles spricht somit dafür, dass die ursprünglichen Funktionsfelder der Cholinesterasen, wie auch von cholinergen Systemen insgesamt, in allgemeinen Zell‐Zell‐Wechselwirkungen zu suchen sind. Diese Einsichten wurden hier an einigen Zellkulturstudien und ausgewählten Beispielen der Normalentwicklung dargestellt. In der Wirbeltierretina beeinflussen die als erste differenzierenden cholinergen Amakrinzellen die Netzwerkbildung. Nicht weniger bedeutend ist das cholinerge System bei der Bildung von Röhrenknochen. Acetylcholin beschleunigt die Knochenbildung, und die Cholinesterasen regulieren dabei nicht nur dessen Konzentration, sondern spielen beide zudem strukturelle Rollen. Ebenso überzeugend ist eine Studie an Froschlarven, die zeigt, dass bei der Darmbildung von Xenopus laevis sehr wohl das AChE‐Protein, aber nicht dessen Enzymaktivität beteiligt ist. Die volle Aufklärung der Wirkungsweise der Cholinesterasen ist notwendig, denn eine Vielzahl von spezifischen Anticholinesterasen finden breite Anwendungen in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen (Landwirtschaft, Gesundheit, Sicherheit). Die Forschung hat dies erkannt und widmet sich verstärkt nicht nur den Cholinesterasen, sondern insgesamt der Aufklärung nicht‐neuronaler cholinerger Systeme (NNCS).