Zusammenfassung: Der klassische fürsorgende und versorgende Sozialstaat vernachlässigt die Bereiche von Bildung und Ausbildung. Der gegenwärtige Paradigmenwechsel hin zu einem aktivierenden Sozialstaat, einem Sozialinvestitionsstaat, baut dagegen grundlegend auf einer breiten Bildung und Ausbildung der Bevölkerung auf. Wie sind die Länder der OECD für diesen Paradigmenwechsel aufgestellt? Können Sozialinvestitionsstaaten den Sozialstaat klassischer Prägung überhaupt ersetzen? Der Beitrag zeigt, dass sozialer Schutz durch Bildung alleine nicht zu gewährleisten ist. Erfolgreiche Länder setzen gleichermaßen auf den Bildungs-und Sozialstaat. Bildungspolitik als Teil der Sozialstaatspolitik Der Schwerpunkt der vergleichenden Sozialstaatsforschung liegt auf der Analyse von Sicherungssystemen gegen die "Wechselfälle des Lebens" (Zacher 2008: 35). Wechselfälle sind dabei stets Abweichungen vom gesetzten Regelfall einer eigenen, den Unterhalt sichernden Erwerbstätigkeit. Wie schützen Nationalstaaten bei Armut, Krankheit, Erwerbsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit? Welche Versorgung bieten sie im Alter? Welche Rolle spielt der Staat, der Arbeitsmarkt oder die Familie? Die Triade von Staat, Markt und Familie, wie auch die starke Ausrichtung auf Erwerbsarbeit, prägen die gesamte vergleichende Sozialstaatsliteratur. Ihre Klassifikationen basieren auf der Frage, welche Transfersysteme in Phasen der Nichterwerbstätigkeit eingesetzt werden, wie hoch ihre Leistungen sind, an was sie bemessen und wie lang sie gewährt werden. Besondere Aufmerksamkeit erhalten dabei die Prinzipien der Subsidiarität und Äquivalenz. Das Subsidiaritätsprinzip gibt der Familie den Vorrang vor staatlichen Hilfen; das Äquivalenzprinzip koppelt die Höhe der Sicherung an den jeweiligen Lebensstandard. Durch diese Ausrichtung auf den Arbeitsmarkt geraten die im Lebensverlauf vorgelagerten Systeme von Bildung und Ausbildung oft aus dem Blick. Dabei wissen wir aus unzähligen empirischen Analysen, dass die "Wechselfälle des Lebens" nicht alle Personen mit gleicher Wahrscheinlichkeit, in gleichem Maße, mit gleicher Dauer treffen. Nicht von ungefähr verwies Thomas H. Marshall in seinem Arbeiten zu "Citizenship and Social Class" schon 1949 auf den hohen Stellenwert von Bildung, entsprechend betont das Konzept der "capabilities" (Sen 2000) explizit Bildung als die zentrale Voraussetzung von "Verwirklichungschancen". Folgerichtig gilt das Bildungswesen als eine der zentralen Institutionen der Verteilung der Lebenschancen und als zentraler Hebel zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit (Kaufmann 2001: 972). Dennoch, die klassische vergleichende Sozialstaatsliteratur lässt in ihren großen Systematiken Bildung meist unbegründet außen vor, so etwa Gøsta Esping-Andersen (1990) in seinen "Three Worlds of Welfare Capitalism" oder Francis G. Castles (1993) in seinem Aufriss der "Families of Nations". Herbert Wilensky (1975) schloss in seinem Frühwerk die Bereiche von Bildung und Ausbildung dagegen ganz explizit aus. 1 Erst in jüngerer Zeit mehren sich Arbeiten, die die Wahlverwand...