Bildungsexpansion wird im vorliegenden Beitrag nicht in ihren quantitativen (mehr Schülerinnen und Schüler, mehr Schulen, mehr Lehrpersonen, längere Bildungslaufbahnen, höhere Bildungsbeteiligung), sondern in ihren institutionellen Ausprägungen analysiert. Im Zentrum des Interesses steht die Systemdifferenzierung der Sekundarstufe II in den 1960er- und 70er-Jahren. Einerseits werden die Hintergründe dieser Differenzierung ausgeleuchtet, andererseits der Differenzierungsprozess sowohl für die Gymnasien wie auch für die Berufsschulen rekonstruiert. Abschliessend wird gezeigt, dass es sich beim Phänomen Expansion durch Systemdifferenzierung um ein generelles Wachstumsphänomen im Bildungssystem handelt, das nicht nur für die 1960er- und 70er-Jahre und nicht nur für die Sekundarstufe II Gültigkeit hat.
Schlüsselwörter: Bildungsreformen, Bildungssystem, gesellschafts- und wirtschaftspolitische MotivenDie Bildungsreformen der 1960er- und 1970er-Jahre führten in der Schweiz insbesondere zu einem quantitativen Wachstum des Bildungssystems. Motoren dafür waren erstens die Demografie (Bevölkerungswachstum durch Geburtenüberschuss und Zuwanderung), zweitens wirtschaftspolitische Motive (Mangel an qualifiziertem Nachwuchs), drittens gesellschaftspolitische Motive (mehr Chancengleichheit durch die Öffnung der höheren Bildung) und letztlich bildungspolitische Motive, insbesondere die Verkleinerung der Klassen und die Verlängerung der obligatorischen Schulzeit auf neun Jahre. Im Rahmen der Reformen wurden zwar der Kindergarten ausgebaut, das Unterrichtsobligatorium verlängert, neue Mittelschultypen geschaffen und der tertiäre Bildungsbereich ausgebaut. Aber in wesentlichen Bereichen (Sekundarstufe I, Gymnasium, Lehrerbildung, Universität) konnten keine strukturell tiefgreifenden Reformen durchgeführt werden – es kam zu wesentlichen Reformstaus, die erst in den 1990er-Jahren aufgelöst werden konnten.Von der Gemengenlage von Reformimpulsen, Reformversuchen, Reformprojekten und Reformblockaden profitierte insbesondere die Bildungsforschung. Mit dem Ziel einer „rationalen Bildungspolitik“ (Widmaier, 1966) wurden insbesondere in den kantonalen Bildungsadministrationen Bildungsplanungsstellen eingerichtet. Sie sollten als wissenschaftliche Informationsfunktionen die wissenschaftlichen Grundlagen für die Bildungspolitik beschaffen. Zwar wuchs im Zuge des Ausbaus der Hochschulen auch die universitäre Erziehungswissenschaft. Aber die Funktionalisierung der Wissenschaft beförderte ein primär utilitaristisches Konzept von Bildungsforschung, das teilweise bis heute nicht überwunden ist.
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