Zusammenfassung
Ziel der Studie
Ziel der Studie ist a) die Prävalenzerfassung psychosozialer Notfälle in der Notaufnahme, b) die Ermittlung des Anteils der nicht als (Neben‑)Diagnose kodierten psychosozialen Fälle (Dunkelziffer) und c) die Charakterisierung identifizierter Patient*innen.
Methodik
In einer retrospektiven Studie wurden psychosoziale Notfälle einer Kalenderwoche aus der Routinedokumentation der zentralen Notaufnahme (ZNA) der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Charité Campus Mitte (CCM) identifiziert. Nach Ausschluss von geplant aufgenommenen Fällen wurden 862 Patient*innen in die Studie eingeschlossen. Die identifizierten psychosozialen Notfälle wurden hinsichtlich ihrer soziodemografischen und klinischen Merkmale deskriptiv analysiert und mit anderen Notfällen verglichen.
Ergebnisse
Die Prävalenz psychosozialer Notfälle unter Notaufnahmepatient*innen im angegebenen Zeitraum betrug 11,9 % (n = 103). Ein Großteil der psychosozialen Notfälle war in den Diagnosen nicht (35,9 %) oder nicht vollständig (20,4 %) kodiert. Es gab einen statistisch relevanten Unterschied in der Geschlechterverteilung mit einem signifikant höheren Männeranteil unter den psychosozialen Notfällen (70,9 %) im Vergleich zu anderen Notfällen (50,7 %; p < 0,0001). Die 2 häufigsten Behandlungsanlässe unter den psychosozialen Notfällen waren Substanzmissbrauch (66,0 %) und Obdachlosigkeit (20,4 %).
Schlussfolgerungen
Diese Studie zeigt einen relevanten Anteil an in den Routinedaten dokumentierten psychosozialen Behandlungsanlässen an allen Behandlungsanlässen in der Notaufnahme und einen hohen Anteil von in den kodierten Diagnosen nicht erfassten Fällen (Dunkelziffer) auf. Notaufnahmen stellen somit eine wichtige Anlaufstelle für vulnerable Patient*innengruppen dar, die dort bisher nicht ausreichend identifiziert werden.